[521; Anschrift: Wien]
Frankfurt am Main
14. Oktober 1988
Lieber Thomas Bernhard,
anbei der Vertrag für »Heldenplatz«.1 Die vorangegangenen Verträge waren kürzer, weil sie immer die Bedingung enthielten: »im übrigen beziehen wir uns auf die ½½ der Verträge z. B. ›Midland in Stilfs‹«. Ich habe nun diese Bedingungen aus »Midland in Stilfs« ausdrücklich noch einmal aufgeführt, denn wir müssen dem Anwalt klar nachweisen können, daß wir die Vorabdruckrechte gewissermaßen für jede Fassung haben. Deswegen also der ausführlichere Vertrag. Die Formulierungen entsprechen exakt denen der vorangegangenen Verträge, hier ist kein Wort neu eingefügt. Aber ich wollte doch alles in einem Vertrag haben, damit wir den Anwalt überzeugen können und ggf. mit diesem Vertrag auch vor Gericht gehen können.
Ich habe, die einzige Ungereimtheit, als Datum 28. Januar 1988 eingesetzt, das war ja das Datum, an dem sozusagen das Stück hier nach Frankfurt kam, und ich glaube, es ist gut zu wissen, daß der Text sozusagen schon lange vorliegt.
Mir bleibt, Ihnen alles Gute zu wünschen, am besten wäre es wirklich, Sie zögen diesem Stadttrubel einen Aufenthalt auf dem Land vor! Ich denke an Sie und grüße Sie herzlich —
Ihr
Siegfried Unseld
Bitte unterschreiben Sie …
1 In der Chronik hält S. U. unter dem Datum des 21. Januar 1988 fest:
»Am Nachmittag lese ich das neue Stück von Thomas Bernhard, ›Heldenplatz‹. Am 15. März 1938 fand der ›Anschluß‹ Österreichs an Deutschland statt. Auf dem Heldenplatz jubelten die Massen Adolf Hitler zu. Thomas Bernhard geht davon aus: eine jüdische Familie wohnt am Heldenplatz, der Mann, ein Professor der Philosophie, hat sich aus dem Fenster gestürzt, seine Frau hört immer noch die Massen rufen. Mehr ist eigentlich an ›action‹ nicht da. Thomas Bernhard benützt den Vorgang, um zu sagen: es gibt heute ebenso viele Antisemiten und Nazis wie damals, aus allen Löchern kriechen sie. Und dann seine Suada gegen Politiker, Kirchenleute, Geschäftsleute, alles Schweine. Ich werde mit Bernhard reden müssen. Wenn wir das vor der Aufführung durch Peymann, die im September geplant ist, veröffentlichen, kann Peymann das nicht mehr machen.«
Im April 1988 kommt Th. B. nach Frankfurt, u. a., um mit S. U. und Raimund Fellinger Korrekturvorschläge für Heldenplatz zu besprechen. In der Chronik von S. U. heißt es unter dem Datum des 21. April 1988:
»Nachmittags Thomas Bernhard. Burgel Zeeh hatte ihn am Flughafen abgeholt und in die Klettenbergstraße gebracht. Wir unterhalten uns eine halbe Stunde in sehr einseitiger Weise. Er nimmt DM 100.000.—, ordnet eine Überweisung in derselben Höhe für Mai an (sein Kontostand beläuft sich ja auf DM 374.000.—). Unwillig unterschreibt er Verträge für BS und IB, und dann wollte ich ins Detail seines Stückes ›Heldenplatz‹ gehen. Ich mußte ihm sagen, daß er manchmal eine Tatsache behauptet, die er nicht beweisen kann. Soweit er im Allgemeinen bleibt, mag das angehen (Graz, das Nazinest; Österreich, der ›gemeingefährlichste aller europäischen Staaten … wo die Schweinerei oberstes Gebot ist‹ (35); Gewerkschaftsführer in skrupellosen Bankgeschäften (102)). Das mag angehen, aber was eben nicht angeht: der Direktor der Nationalbibliothek, ›dieser schauerliche Idiot‹ (66). ›Der Bundespräsident ist ein Lügner‹ (102); ›ein noch immer mit dem Analphabetismus ringender Bundeskanzler‹ (124). Bernhard wollte sich auf keine Diskussion einlassen, er würde nicht ein Wort ändern. Darauf sagte ich ihm, er müsse mit der Beschlagnahme rechnen. Das sei ihm egal. Auf meinen Hinweis, daß ihm das schon einmal dann nicht egal gewesen sei, reagierte er: er sei jetzt anderer Meinung, ihm könne nichts passieren. Peymann würde das aufführen, und zwar an der Burg am 14. Oktober und dies aus Anlaß des 100. Gründungstages der Burg unter Anwesenheit von offiziellen Festgästen – ich bezweifelte, daß dies möglich ist, doch Bernhard ließ sich nicht beeindrucken, beendete die Diskussion, die keine war – und dann das Merkwürdige: er traf sich nach unserem Mittagessen mit Fellinger im Frankfurter Hof an einem neutralen Platz. Ohne weiteres strich er die von mir inkriminierten Zeilen! Mir gegenüber spielte er den Unerbittlichen und nicht Änderungswilligen, bei Fellinger änderte er, wenn nicht willig, so doch mit Einsicht. Wir sollten die Korrekturen rasch machen, umbrechen und den Umbruch für die Schauspieler nach Wien schicken.
Um 13.30 h kam Joachim. Wir aßen in der Klettenbergstraße, und Bernhard war aufgeräumt, wie er gelegentlich nur sein kann. Freilich, er machte auf mich einen doch sehr reduzierten Eindruck. Sein Hautmal wächst, seine Körpergestalt wird immer dünner und wahrscheinlich widerstandsunfähiger. Zu Fellinger bemerkte er, der ihn nach einem Interview fragte: dies müsse rasch geschehen, vielleicht stürbe er bald. Über ›Neufundland‹ sagte er mir, das Manuskript läge nun schon drei Jahre, er hätte im Augenblick keine Spannung, es neu zu lesen. Er wolle aber im Mai / Juni etwas Neues schreiben, das dann für den Herbst 1989 parat sein könnte. Schließlich wolle er ja nicht am Fließband produzieren.
[…] Nun ginge er wieder in seine Klausur, tauche unter, wolle arbeiten. Alles sei ja sinnlos, aber in dem Sinnlosen stecke eben auch ein Sinn. Er diskutiert mit mir über meinen Adorno-Satz: es gibt kein falsches Leben im richtigen. Er sagt, wiederum überraschend, ›Leben ist überall‹. Das würde beide Sätze aufheben.
Thomas Bernhard treibt sein clowneskes Spiel mit Peymann, mit mir, mit dem Theater, mit dem Verlag, mit der Öffentlichkeit. Wie notierte es Peter von Becker in ›Theater 1987‹: ›Am schönsten wäre es, sagt der Dichter (Th. B.), es würde von einem Buch nur ein Exemplar gedruckt. Für einen selber. Aber nicht im Selbstverlag. Dann wäre es ja kein Vergnügen.‹«
Und in der Chronik für den nächsten Tag, den 22. April 1988, heißt es dann:
»Morgens, bevor ich zum Schwimmen gehe, meldet sich Burgel Zeeh. Sie habe Thomas Bernhard angerufen: er sei wie umgedreht gewesen. Er bedanke sich, wie liebevoll wir alles organisiert hätten: das Abholen, das Essen in der Klettenbergstraße, die Atmosphäre in der Klettenbergstraße, das Gespräch mit mir und Fellinger. Er habe nur einen Wunsch: mich einmal einen Abend allein zu haben. Das ist der andere Thomas Bernhard.«
Auch die Erregungen in Österreich noch vor der Auslieferung des Buches bzw. der Uraufführung von Heldenplatz schlagen sich in der Chronik nieder, etwa unter dem Datum des 13. Oktober 1988:
»Es schien notwendig, einen spontanen Wien-Besuch einzulegen. […] Noch nie gab es um ein Stück eine solche Aufregung, selbst gegen den ›Stellvertreter‹ wurde im Verhältnis nur milde protestiert.
Der Bundespräsident Waldheim fand das österreichische Volk beleidigt, andere wollten Bernhard aus Österreich rauswerfen. Gegen die Aufführung gibt es Bombendrohungen. Man kann nur sagen, daß die im Stück geschilderte Wirklichkeit längst von der Realität überholt wird. Bernhard hat sich über ein am Vorabend von mir [im ORF] gegebenes Interview aufgeregt: er stünde da, als habe er unter meinem Einfluß abgemildert. Ich mußte jedoch nur die justitiable Beleidigung, der Bundespräsident sei ein ›Lügner‹, bereinigen, denn das steht nicht in unserem Buch. Auf seinen Wunsch ging ich noch einmal ans Fernsehen, Gespräche mit Peymann, Beil, Sonja Kaplan und der tüchtigen Frau Maleta.«
Unter dem Datum des 27. Oktober notiert S. U. in der Chronik: »Und schließlich kommt nun auch das Interview von Bernhard [in Basta, 26. Oktober]: ›Ich weiß gar nicht, was dem Unseld, dem Teppen, gestern [am 12. Oktober] gestern im Fernsehen eingefallen ist, so etwas zu behaupten! Der war ja auch so blöd. Ein Schauerkerl ist das! […] Dem Mann geht es auch nur um sein kleines und niedriges Geschäfterl, ohne Rücksicht auf irgendwas! Natürlich könnt’ ich sagen, ich red’ nie wieder ein Wort mit ihm und wechsle den Verlag. Aber im nächsten ist es genauso grauslich.‹ Hier blitzt bei Bernhard etwas auf, was er wirklich denkt. […] Aber daß es mir nur um mein kleines und niedriges Geschäfterl ohne Rücksicht auf irgend etwas gehe, das ist natürlich schon ein starkes Stück.«