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Ohlsdorf
15. 9. 69
Lieber Dr. Unseld,
vielleicht fährt bald einmal wieder Ihr Wagen in meinen Hof herein, das freut mich dann!
Seit Tagen bin ich wieder intensiv mit dem Roman beschäftigt, warte auf die Fahnen von »Watten«, das, bitte, programmgemäss erscheinen soll und bin überhaupt in bester Konstellation.
Die Abschliessung hier ist mir, arbeite ich intensiv, am förderlichsten. Diese »Zustände« nütze ich aus.
Das Finanzielle betreffend, warte ich auf Ihren Brief, die Unterlagen, etc. Was die ab September beschlossenen Zahlungen betrifft, bitte ich, die Anweisung jeweils am Monatsanfang1 zu machen. Die erste ist hier noch nicht angekommen.
Aber das Wichtigste ist vollkommen klar.
Über die Österreichische Bibliothek:
es ist das beste, möglichst Wenige mit der Sache zu betrauen, auch die wenigsten in das Ganze »hereinzuziehen«, glaube ich. Vor allem, solange nicht vollkommene Klarheit besteht über den Vollzug. Tatsächlich ist die Idee grossartig und realisierbar, was schon Begeisterung ist. Als Herausgeber stelle ich mir tatsächlich
Ernst Fischer
Artmann
Barbara Frischmuth
Peter Handke
Hilde Spiel
Leo Navratil
vor, das wäre in meinen Augen die beste Mannschaft. Kolleritsch weiss ich nicht.
Es sollten immer eine ältere, eine neuere Dichtung, ein Philosoph, ein Politiker, ein Maler und ein absoluter Narr zu Wort kommen, glaube ich. Zu dieser Auswahl haben wir dann die besten Leute zur Verfügung. Wieland Schmied könnte für die Bände der sogenannten Bildenden Kunst verantwortlich sein.
Zu den ersten sechs Bänden:
Meine Vorstellung: |
1 »Sonnenfinsternis« (Handke) 2 Aus d. alten Bibliothek* 3 Wittgenstein 4 Ferdinand Ebner! (Hans Rochelt) 5 Karl Kraus »Gedichte« (Hamm) 6 Artmann |
Ich möchte zuerst eine Sache wie den jungen Schmögner nicht veröffentlichen. Dafür ist der Artmann als heutiger Narr dabei. Im Grossen und Ganzen denke ich, sollte in einer solchen Bibliothek eine Art österreichischer exempla classica erscheinen, und man soll in jeder Lieferung ein neues Buch, ausdrücklich darauf hinweisend, dass das neu ist, heutig, erscheinen [lassen].
Ein Blick auf die erste Liste sagt mir: bitte schreiben Sie an Hans Rochelt, Wien I. Blumenstockgasse 5/4 p. A. David, wegen Ferdinand Ebner, den Philosophen, der in Deutschland nahezu gänzlich unbekannt ist und aus dem Sie wahrscheinlich etwas so aussergewöhnliches machen können wie aus dem Wittgenstein.
Tatsächlich bin ich von der Idee der Österr. Bibliothek mehr als berührt und ich kann jetzt, ohne noch aktiver zu sein, nur hoffen, dass etwas annähernd meinen Vorstellungen entsprechendes dabei heraus kommt. Dieses Land verdient eine solche Bibliothek überhaupt nicht, aber denen, aus welchen sie schliesslich gemacht wird, ist sie zweifellos zum posthumen Vergnügen, um nicht zu sagen zur Ehre, ein Begriff, der keine Ohrfeige mehr wert ist.
Ich bin begierig auf Information und ich danke und grüsse
herzlich Ihr
Thomas Bernhard
* in ihr gibt es allerdings wenig Brauchbares für die Zukunft!!! Aber als Erstes ja, als Geste.
1 Das Wort ist von dritter Hand unterstrichen.