[236; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
3. April 1973
Lieber Thomas Bernhard,
ich freue mich sehr, daß ich wieder einen ausführlichen Brief von Ihnen erhielt, der nun auf meine Fragen eingeht. In diesem Sinne also schönen Dank für Ihren Brief vom 21. März.
Wiederum haben wir in einigen Punkten sehr große Übereinstimmung. Dagegen ist in einem anderen Punkt doch ein klarer Dissens da. Sie sehen die Wirkungen Ihrer Theaterstücke bei kleineren Bühnen ausschließlich in der Höhe der sich für Sie ergebenden Tantiemen. Das ist einfach falsch. Ich schrieb Ihnen schon einmal, daß mir das Wichtigste ist, Ihre Arbeiten an den individuellen Leser bzw. Zuschauer heranzuführen. Ein Mann oder eine Frau, die auf einer kleinen Bühne von Ihrem Wort getroffen sind und ihr Dasein von Ihrer Aussage prägen lassen, bedeuten für die Wirkungsgeschichte Ihres Werkes mehr als ein Honorar, das sich eben nicht in Tausendern ausdrückt. Doch haben wir darüber ja eine klare Vereinbarung erzielt. In den Erstaufführungen haben wir ja schon Ihre Vorstellungen berücksichtigt, und bei weiteren Aufführungen müssen wir so verfahren, wie wir es für richtig halten. Im übrigen stimme ich Ihnen in einem Punkt natürlich zu: es ist ziemlich skandalös, welch niedrige Tantiemen sich bei solchen Aufführungen ergeben, doch wird die Theatersituation, zumindest in der Bundesrepublik, immer schwieriger, selbst so große Bühnen wie hier in Frankfurt stehen vor der Frage einer erheblichen Reduzierung, wenn nicht gar Streichung ihrer Subvention. Man kann also hier nur einen individuellen Kampf ausfechten: es muß immer wieder der Versuch gemacht werden, eine möglichst beste szenische Realisierung und ein möglichst hohes Honorar zu erreichen.
Ich bin natürlich betrübt darüber, daß Sie Ihre Vereinbarung, die wir im Hinblick auf die Ablieferung der »Korrektur« getroffen haben und die Sie kürzlich Dr. Rach gegenüber am Telefon bestätigten, nicht einhalten wollen. Ich finde es bei unserer Verbindung auch nicht angebracht, daß Sie einerseits darauf drängten, den für den Zeitpunkt bei Ablieferung des Manuskripts vereinbarten Betrag von DM 20.000.— vorher zu erhalten, und sich dann Ihrerseits an den vereinbarten Ablieferungstermin, den Sie kürzlich ja noch bestätigten, nicht zu halten. Für mich bedeutet das eine schwierige Disposition. Sie wissen aus vorangegangenen Briefen und auch aus meiner Frage aus Anlaß eines Ankündigungstextes für »Erinnern«, daß wir die Redaktion unseres Programmes abschließen müssen. Ich hatte angenommen, das Manuskript Ende März zu haben und dann selber einen Ankündigungstext für die »Korrektur« schreiben zu können. Das ist jetzt gar nicht möglich, und andrerseits deuten Sie ja auch an, den Ablieferungstermin noch weiter herausschieben zu wollen. Ich sehe also, daß wir die »Korrektur« doch nicht mehr in diesem Herbst herausgeben können. Das bedaure ich sehr, die Verkaufsmöglichkeiten sind im Herbst größer. Andrerseits hat im Frühjahr die Kritik mehr und intensivere Möglichkeiten, sich mit dem Text zu befassen.
Ich werde mit Herrn Beckermann sprechen, »Kalkwerk« soll dann noch einmal von einem unserer Korrektoren durchgesehen werden.
Ich war darauf eingestellt, daß wir uns im April sehen und sprechen können. Das ist nun nicht möglich. Im Mai werde ich nun wieder viel unterwegs sein, aber sollten wir uns nicht für Juni an einem Ihrer Seen verabreden? Dann hat der Urlauberstrom ja noch nicht seine volle Höhe erreicht, und man kann doch schon schwimmen. Oder wollten Sie lieber in städtische Gefilde reisen?
Schöne Grüße
und vor allem die besten Wünsche für die Adria
Ihr
[Siegfried Unseld]