[488; auf Papier des Hotels Madeira PalÄcio, Funchal, Madeira]
[Funchal]
9. Feber 1986
Lieber Doktor Unseld,
auf meinen letzten Brief aus Funchal erwarte ich keine Antwort. Da ich aber weiterarbeite und auch in Zukunft meine Arbeiten herauszugeben gedenke und ich mit größtem Bedauern auf Ihren persönlichen Charme, wie auf Ihre, wie Sie selbst wissen, unübertrefflichen Qualitäten im Umgang mit mir, sowie auf Ihren sicher auf der ganzen Welt einmaligen Einsatz als Verleger, nicht verzichten will und kann, bitte ich Sie, mir mitzuteilen, wie wir weitermachen sollen. Vor acht, neun Jahren deutete ich ja schon an, dass ich unter dem Titel »Erinnern« sieben Bücher schreiben und veröffentlichen will. Buch eins soll in diesem Herbst gedruckt sein. Nach einer jahrzehntelangen Zeit des Erfindens, bin ich jetzt schon länger in einer Periode des Erinnerns.
Wie auch immer, wäre die gegenseitige Hassliebe, mit der ich, wie mit allem andern auch, mit Ihnen zu leben wünsche, zu erneuern.
Wahrscheinlich ist ein Zusammentreffen zu diesem Zweck unumgänglich.
Wie ich höre, sind Sie krank und haben sich diese Krankheit aus Wien geholt.1 Recht geschieht Ihnen! Aber Krankheiten, sind sie überstandene, machen noch stärker, auch und gerade Sie!
Aus klimatischen Gründen sollte ich mein zukünftiges Leben ja hier verbringen, aber die Schönheit des Südens und die Welt als Park sind nichts für einen von Arbeit besessenen Idioten wie ich. Für den Fall, dass Sie wieder schreiben oder auch nur diktieren können, biete ich mich also als Empfänger einer Frankfurter Epistel an.2
Ihr
Thomas Bernhard
1 S. U. stellt am 27. Januar 1986 Dessen Sprache du nicht verstehst in Wien vor. Am 3. Februar 1986 notiert er in der Chronik: »Seit Wien laboriere ich an einer Grippe, und jetzt kommt sie stärker heraus.«
2 S. U. vermerkt in der Chronik unter dem 22. / 23. Februar das Eintreffen dieses Briefes und fügt hinzu: »Ich antworte darauf nicht, zumal er noch unterwegs ist.« Am 28. Februar kommt es zu einem Telefonat zwischen S. U. und Th. B. Anlaß ist die Uraufführung von Einfach kompliziert am selben Tag im Berliner Schiller-Theater (Regie: Klaus André, alter Schauspieler: Bernhard Minetti, junges Mädchen: Vera Milde-Karkos). S. U. notiert im Reisebericht Berlin, 28. Februar-1. März 1986: »Das Ganze stand und fiel mit Minetti, und es stand; das Stück eher schwach, Minetti aber war groß, und so standen am Schluß Ovationen. Ich sprach mit Minetti, telefonierte in der Nacht noch mit Thomas Bernhard, der ein ›Gelingen‹ registrierte, aber man kann erwarten, daß die Kritik sehr böse reagieren wird.« Georg Hensel schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 3. März 1986 unter der Überschrift Mit Gefühl: »Die Selbstimitationen kann man auch Selbstzitate nennen, das klingt schon besser: Thomas – Bernhard – Minetti’s greatest hits. Nur Thomas Bernhard müßte es stören. Er riskiert allenfalls noch Privatprozesse. Seine Kunst setzt er schon lange nicht mehr aufs Spiel.«