[214; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
27. Oktober 1972
Lieber Thomas Bernhard,
ich konnte zu diesem Termin nicht nach Ohlsdorf kommen, da ich ein dringliches Gespräch in Zürich habe. Ich stehe dort jedoch telefonisch zur Verfügung (Hotel »Atlantis«, Zürich: 35.00.00).
Ich bemühe mich, die in Ihrem Brief vom 18. 10. 1972 erwähnten Vorgänge sachlich zu beschreiben.
Von einer »unübersehbaren Nichtbeachtung« kann ernsthaft nicht die Rede sein. Wir haben Ihre Manuskripte ins Buch verwandelt und sind für Ihre Bücher eingetreten. Ich persönlich von allem Anfang an, das wissen Sie, und ebenso die Mitarbeiter des Verlages, die Sie als bedeutenden Autor schätzen. Wir haben uns insbesondere für Ihre jüngsten Arbeiten eingesetzt, für Ihr letztes Stück, für das wir, wie Sie wissen, ein Plakat hergestellt haben.
Daß die 2. Auflage mit Fehlern gedruckt wurde, ist bedauerlich, ich habe Sie jedoch schon beim ersten Mal gebeten, mir ein korrigiertes Exemplar der Buch-Ausgabe zu schicken; Sie haben das bis heute nicht getan. Bitte, tun Sie es jetzt, damit wir bei einer 3. Auflage die Fehler bereinigen können.
Meine erste dienstliche Reise nach meinem Krankenhaus-Aufenthalt führte mich zu Ihnen und nach Salzburg. Wir haben dort klare Termine für Ihre weiteren Arbeiten besprochen. Wir haben insbesondere davon gesprochen, daß Sie einen Teil des Monats Oktober in Brüssel verbringen und Anfang November nach Frankfurt zur Übergabe des Manuskripts kommen wollten. Es waren ebenfalls klare Termine für die Ablieferung der Manuskripte für »Erinnern 1« und, zum Ende des Jahres, für das neue Stück. Auf diese Arbeiten hin habe ich Ihnen, wie in meinem Brief vom 2. August 1972 erklärt, eine Optionsvorauszahlung1 in Höhe von DM 20.000.— geleistet. Meinen Brief haben Sie bestätigt und auch die Tatsache, wie angenehm unser Gespräch und unser Zusammensein in Salzburg war.
Auf mich warteten nach dem längeren Kranksein Berge akuter Verpflichtungen. Dann kam die Buchmesse. Ich wußte, daß Sie nicht erreichbar waren, eine Brüsseler Adresse hatte ich nicht, ich wartete nur auf Ihr Kommen und schrieb Ihnen deshalb am 9. Oktober noch einmal nach Ohlsdorf.
Aber nicht Sie kamen, sondern Ihr Brief vom 18., der nicht-haltbare Vorwürfe enthält.
Wir haben damals in Salzburg bzw. Ohlsdorf aus sehr genauen und real bedachten Argumenten heraus den Entschluß gefaßt, die »Korrektur« im Frühjahr, »Erinnern 1« im September herauszugeben. Für 1973 waren das neue Stück und, abermals im September, »Erinnern 2« vorgesehen. Im 1. oder 2. Halbjahr 1974 sollte dann der von Ihnen so sehr geschätzte Plan einer Auswahl aus Ihrem Werk von mir als Herausgeber realisiert werden. Wenn Sie meine Planungslisten einsehen könnten, so fänden Sie diesen Reader als feste Planung dort vor.
Ich halte diese Pläne für vernünftig, für richtig und vor allem für die Effizienz optimal. Mit Ihrer Entscheidung, jetzt die »Korrektur« nicht im Frühjahr 1973 veröffentlichen lassen zu wollen, bringen Sie nicht nur diese durchdachte Planung durcheinander, Sie schaden der Wirkung Ihres Werkes.
Aus meiner Erfahrung weiß ich, daß ein neuer Roman von Ihnen, dessen Bedeutung ich ohne weiteres voraussetze, besser im Frühjahr als im Herbst erscheinen soll. Im Herbst sind alle Buchhandlungen und leider auch die Kritik zu sehr auf die rein merkantilen Objekte des Buchmarkts ausgerichtet. Ein wichtiges literarisches Buch wird vom Buchhandel wie von der Kritik in der ersten Hälfte des Jahres weit intensiver zur Kenntnis genommen, als dies im zweiten Halbjahr bei der Überfülle neu erscheinender Titel prinzipiell möglich ist. Wir haben für wichtige und gutgehende Titel geradezu die Strategie, sie im Frühjahr erscheinen und sie dann im Herbst als bekannte und renommierte Bücher vollends entfalten zu lassen. Ich erinnere Sie an die Beispiele Bachmann, »Malina«, und in diesem Jahr an Max Frischs »Tagebuch«, an Handkes »Der kurze Brief zum langen Abschied« und an Martin Walsers »Gallistl’sche Krankheit«. Alle diese Bücher erschienen im Frühjahr und hatten gerade deswegen ihre größten Verkäufe im Herbst, und wenn Sie die Anzeigen des Verlages aufmerksam studieren, so sehen Sie, daß wir etwa in der laufenden Nummer der »Zeit« nicht für die Bücher des Herbstes, sondern eben für Bücher des 1. Halbjahres 1972 werben. Für mich ist es ganz klar: Ihr Buch kommt zur größeren Wirkung, wenn wir es im Frühjahr herausgeben. Wenn Sie anders entscheiden, so ist das Ihre Sache. Ich muß Ihnen das in aller Deutlichkeit sagen.
Zu den anderen Punkten brauche ich nur kurz Stellung zu nehmen. Eine Dokumentation zu den Vorgängen im Salzburger Landestheater möchte ich nicht veröffentlichen; die subjektiven Merkmale dieses Vorganges lassen sich nicht klar objektivieren.
Über das neue Stück wollten Sie während Ihres Frankfurter Hierseins Anfang November mit Dr. Rach und mir sprechen. Ich nehme an, daß dieses Gespräch jetzt mit Dr. Rach stattfinden kann.
Mit Hilde Spiel sprach ich kurz während der Büchner-Preisverleihung an Canetti. Sie trug mir die Idee des österreichischen Preises für Sie vor, und ich sagte ihr, daß ich, sobald ich Sie Anfang November sehe, mit Ihnen darüber sprechen würde.
Es tut mir leid, daß wir Sie von der Aufnahme des »Boris« in »Spectaculum« nicht informiert haben; das ist ein Fehler, wenn ich auch annehmen mußte, daß Ihnen eine Aufnahme (selbstverständlich eines richtigen Textes) nur lieb sein mußte. Wir wollen im übernächsten »Spectaculum«, also für Nr. 19 im Herbst 1973, den »Ignoranten« aufnehmen.
Über den Auswahl-Band schrieb ich Ihnen bereits. Ich würde vorschlagen, ihn, wie damals mit Ihnen vereinbart, entweder im 1. oder im 2. Halbjahr 1974 herauszugeben.
Gerne gebe ich Ihnen eine Übersicht über die materielle Kontenlage, dies um so mehr, als Sie daraus doch auch das Engagement des Verlages für den Autor Thomas Bernhard entnehmen können. Die Aufstellung entspricht in den Punkten exakt denen meines Briefes vom 2. August 1972.
Ich würde mich freuen, wenn es bei unserer Absprache über die Ablieferungstermine der Manuskripte bliebe. Noch einmal: für die »Korrektur« ist das Frühjahr der bessere Erscheinungstermin. Um das von uns aus möglich zu machen, muß jedoch Herr Dr. Rach das Manuskript mitbringen. Sollte dies nicht der Fall sein, kann und darf dann das Manuskript im 1. Halbjahr 1973 nicht mehr erscheinen, da wir dann die Ankündigung abgeschlossen und die Akzente des Programms gesetzt haben. Wenn Sie Herrn Dr. Rach das Manuskript »Korrektur« übergeben, so sollen Sie die Gewißheit haben, daß wir uns mit Leidenschaft und Vehemenz für dieses Buch einsetzen werden. Auch ich bin besessen von der Idee, dieses Buch an einen größten Käufer- und Leserkreis heranzuführen. Aber dafür brauche ich die optimalen Bedingungen, also den Start im Frühjahr und das Manuskript jetzt und sofort.
Ich baue auf Ihre persönliche Vernunft und bin mit herzlichen Grüßen
Ihr alter
Siegfried Unseld
Anlage: Kontenaufstellung vom 24. 10. 72
THOMAS BERNHARD | ||||
Zahlungen | Guthaben | insgesamt | ||
I. | Konto ALTE
WERKE »Amras«, »Frost«, »Verstörung«, »Boris«, »Watten«, »Prosa«, »Ungenach«, »Kalkwerk«, »Midland« |
|||
Saldo nach Gutschrift von 11 000 Ex. der st-Ausgabe »Frost« | 195.44 | |||
Darlehen 9. 2. 1971 | 15.000.— | |||
Saldo | 14.804.56 | 14.804.56 | ||
II. | Konto »IGNORANT« | |||
a) Salzburg unsere Zahlungen a conto |
20.000.— | |||
Tantieme Abrechnung 6/72 | 7.500.— | |||
Tantieme Abrechnung 9/72 | 15.000.— | |||
Saldo | 2.500.— | am 23. 10. 72 gezahlt | ||
b) FS und Theater Darlehen 1. 9. 1971 |
20.000,— | |||
Tantieme Abrechnung 9/72 ORF u. FS |
3.936.26 | |||
Saldo | 16.063.74 | 16.063.74 | ||
III. | Konto VORAUS- UND OPTIONSZAHLUNGEN AUF KÜNFTIGE PUBLIKATIONEN | |||
Zahlung 16. 8. 1972 für BS-»Ignorant«, BS-»Erinnern«, Roman »Korrektur«, es-»Atzbach«, Neues Stück | 20.000.— | 20.000.— | ||
IV. | Konto NEUE
WERKE »Gehen« Saldo |
15.919.67 | ||
(hinzu kommen laufende monatliche Zahlungen bis 31. 8. 73/11 x 1.000,—) | (11.000.—) | 15.919.67 | ||
DM 66.787.97 |
24. 10. 1972
dr. u. / ze.-
1 Th. B. unterstreicht mit Bleistift »eine Optionsvorauszahlung« und setzt an den Rand ein Fragezeichen.