[94; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
6. November 1969
Lieber Herr Bernhard,
ich habe Ihren Brief vom 1. November sorgsam gelesen. Sie verhalten sich unvernünftig, ungerecht, unfair.
Was ist denn geschehen? Wir besprachen bei meinem Besuch, daß wir unter alle bisherigen Zahlungen eine Art Strich ziehen, d. h., die Verlage Insel und Suhrkamp werden sich in der Tat bemühen, durch auflaufende Honorare bisher übertragener Werke die bisher gezahlten Gelder abzudecken. Das war der Einsatz der Verlage. Dem gegenüber stand Ihr Einsatz, daß Sie, für den Fall, Ihnen würde etwas widerfahren, die Honorareinkommen an die Verlage übertragen. Ist das denn so kompliziert? Daß ich einen Juristen bemühte bei einem etwas schwierigen Vertrag, das sollten Sie doch einsehen, denn Sie müssen sich hierzu nicht nur verbal, sondern auch de jure Ihren Erben gegenüber verpflichten. Ich kann darin keine »Unverschämtheit« erblicken. Wir beide verpflichten uns zu etwas und müssen zu dieser Verpflichtung stehen.
Ich gehe jede Wette mit Ihnen ein: Sie irren sich, daß das Buch »An der Baumgrenze« im Residenz Verlag Ihnen mehr eingebracht hat als alle Arbeiten in den Verlagen Insel und Suhrkamp zusammen. Wenn Sie das wollen, tragen wir’s ganz schnell miteinander aus, und Sie werden sehen, wie Sie sich irren. Außerdem, nach den Insel-Suhrkamp-Publikationen ist es für jeden Verlag leichter.
Und bitte seien Sie nicht empfindlich wegen des Suhrkamp-Dramatiker-Stipendiums. Das gilt jungen unbekannten Dramatikern, aber doch keinesfalls einem Mann von Ihrem Rang! Das wäre doch einfach ein Witz und Ihrer nicht würdig. Es ist auch nicht wahr, daß wir Ihnen nicht einen »Groschen« geschenkt haben, wörtlich ja, aber im übertragenen Sinn stimmt es doch nicht. Warum anerkennen Sie nicht, daß der Insel Verlag Ihnen damals dieses Darlehen in Höhe von DM 40.000.— gegeben hat? Rechnen Sie doch bitte einmal, daß der Insel Verlag dafür jährlich DM 3.200.— an Zins aufbringen muß. Ich hätte nie davon gesprochen, aber Sie selber reagieren kleinlich und empfindlich.
Noch einmal: ziehen wir einen Strich unter die ganze Angelegenheit. Mir ist wichtig, daß Sie diese eine Erklärung rechtsverbindlich für Ihre Erben abgeben (für den Fall, Ihnen geschähe etwas, können wir zur Abdeckung der bisher gezahlten Gelder die Honorare verrechnen). Nur darum geht es. Im übrigen sprechen wir hier, da stimme ich ganz mit Ihnen überein, von einem kurzen Zeitraum von 2, 3 Jahren. Ich bin sicher.
Sie haben einen weiteren Punkt vergessen: wir haben vereinbart, daß Ihnen monatliche Zahlungen geleistet werden. Zwei dieser Zahlungen sind Ihnen zugegangen; die Ihnen überwiesenen Summen für Ihre Steuer und diese monatlichen Zahlungen sind klare Vorauszahlungen auf kommende Bücher. Bedenken Sie das bitte.
Im übrigen haben Sie ganz recht, wir sollten uns doch noch einmal zusammensetzen. Ich tue das sehr gern, weil ich unser letztes Gespräch in allerbester Erinnerung habe und meine, daß wir uns darin persönlich doch etwas nähergekommen sind. Also: wann sind Sie wieder in Wien? Wie wäre das Wochenende 15./16. November? Falls Ihnen dieser Wochenend-Termin angenehm ist, dürfte ich dann wegen meiner Dispositionen um ein Telegramm bitten? Sie sehen, mir ist das wichtig.
Soeben erhalten wir die ersten Exemplare von »Watten«. Ich schicke Ihnen mit getrennter Post ein Exemplar zu, weitere folgen. Insgesamt können Sie über 45 Freiexemplare verfügen. Wir druckten eine erste Auflage von 9.000 Exemplaren. Zwei andere Titel in der edition werden neu aufgelegt; im Mai 1970 folgt »Boris« in der edition.
Herzlich
Ihr
Siegfried Unseld