[121]
Ohlsdorf
5. 7. 70
Lieber Doktor Unseld,
Telegramm, Brief und Besprechungen haben aus mir eine sehr gehobene Stimmung gemacht in den letzten Tagen, die ich aber durch wiederaufgenommene Arbeit wieder zeitgerecht abgebrochen habe. Dass Peymann ein ganz aussergewöhnlich guter Mann für mein Stück ist, war mir von allem Anfang an klar und es brauchte dadurch zwischen ihm und mir nicht viele Worte, aber doch völlig unklar war mir, wie das doch kühle nordische Publikum auf den »Boris« reagieren wird, mein Skeptizismus hat sich nicht bestätigt – und ich bin natürlich sehr glücklich darüber.
Im Herbst schaue ich mir eine der ersten, nicht die erste, Aufführungen an, anschliessend fahre ich ein bisschen nach Norden. Nachdem ich mehrere kurze Szenenausschnitte im Fernsehen gesehen habe, mit einem ungeheuerlichen Schlusslachen der Holzmeister, habe ich mir gedacht, dass das ganze Stück wahrscheinlich von hervorragenden englischen Schauspielern gespielt werden müsste, von einer englischen Theatertruppe.
Für die Holzmeister ist die Leistung tatsächlich eine ungeheuere, wenn ich bedenke, worin diese Frau zwei Jahrzehnte steckengeblieben war.
Ich bin froh, dass alles so gut vorbei ist,
herzlich Ihr Thomas Bernhard
Darf ich Sie um ein Geschenk bitten: alles von Ernst Bloch!, Sie brauchen das ja nicht den »Kollegen« ausplaudern!
P. S. 2: Kommen Sie bald wieder!1
1 Siehe Anm. 1 zu Brief 117.