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[Ohlsdorf]
20. 8. 73
Lieber Doktor Unseld,
am letzten Sonntag habe ich auf dem Marktplatz von Mondsee1 auf Sie gewartet, bis acht Uhr, hinundhergehend wie Elisabeth Schwarzkopf, die solange neben mir hinundhergegangen ist, bis sie mich in dem Sinne angesprochen hat: so ist das, wenn man etwas ausmacht – und um acht ist, wen sie erwartete, endlich gekommen, Paula Wessely, aber der Doktor aus Frankfurt nicht. So also in das »Königsbad«, wo mir gesagt worden ist, der Doktor ist krank etcetera. Heimfahrt, mit der ganzen Melancholie des Rekonvaleszentrikers.2
Die Ohlsdorfer Bazillen haben in Frankfurt ihre Wirkung getan, ich bin sicher, es sind solche gewesen. Ich selbst bin wieder, sagen wir halt, gesund, besser beisammen als vorher, aber es brauchte doch zwei ganze Wochen. Vielleicht ist es der Kunst der Frankfurter Ärzte gelungen, Sie rascher und sicherer auf die neuen Beine zu bringen, als ich mich selbst. Als ich gesund war, kam mein Bruder, der Internist, und sagte, mit einer Sommergrippe sei nicht zu spielen!
Aber was soll ich zu der ganzen Sache sagen? Im Bett liegend sind mir, wie den meisten Kranken, die besten Gedanken gekommen. Und jetzt bin ich ganz bei der »Macht der Gewohnheit« und will nicht eher Ruhe geben, als bis sie fertig ist. Ein guter Stoff, eine richtige Komödie, vielleicht sogar ein Lustspiel. Werden sehen.
Ich bin zwei Tage im Wald gewesen,3 als ich heute heimkomme, war ein Zettel von Bruno Ganz an der Tür: habe hier übernachtet . . . Jetzt bin [ich] wieder melancholisch, wie sich denken lässt. Der Mann ist weg, ich weiss nicht wohin.
Am Freitag kommt Kaut auf Besuch nach Ohlsdorf (er hat ein paarhundert Meter weiter seine Kindheit verbracht), da werden wir alles Notwendige besprechen.
Sie selbst hatten mir versprochen, Peymann und Klingenberg von meiner Komödie in Salzburg das Notwendigste zu sagen, ich hoffe, das ist geschehen, bevor Kaut »Meldung macht«.
Ich müsste bester Laune sein.
Aber nur soviel: bitte machen Sie dann, wenn alles perfekt ist, den Vertrag mit Salzburg und nur persönlich. Der Inhalt ist der gleiche wie 71, nur die Tournee muss hinein. Über die bitte ich Sie, sich den Kopf tatsächlich zu zerbrechen, die Idee ist »klassisch« (Nestroy), und muss intensivst verfolgt werden als Tatsache.4
Ob es mit Hollmann klappt, erfahre ich sicher Freitag von Kaut.
Ein paar Bücher kamen an, ich muss hohen Zoll zahlen, die Welt ist verrückt, pervers, vernichtend.
Ich denke, Sie werden doch noch nach Salzburg kommen und sich den Haufen shakespearischer Könige in der Felsenreitschule anschauen, die sich dort wie die dummen Hunde balgen mit ihrem ungefährlichen Gekläff.5
Denken Sie an das hohe Kapital einer kurzen, intensiven Krankheit und verfluchen Sie mich nicht.
Ich selbst bin wieder da, wo ich hingehöre. Inzwischen Sie auch – wahrscheinlich.
Geben Sie mir ein Lebenszeichen.6
Herzlich Ihr
Thomas B.
1 Der Ort Mondsee liegt am gleichnamigen See im oberösterreichischen Salzkammergut, etwa auf halber Strecke zwischen Salzburg und Obernathal.
2 Ein Telegramm Burgel Zeehs vom 11. und ein Brief vom 13. August nach Ohlsdorf dürften Th. B. demnach nicht bzw. erst zu spät erreicht haben. In der Telegrammnotiz in der Handschrift von S. U. heißt es:
»Dr. Unseld ist leider erkrankt mutmaßlich mit Ohlsdorfer Bazillen stop Sein Arzt verbietet Reise stop Gespräch mit Kaut also später [. . .].«
Und im Brief:
»Lieber Herr Bernhard,
die ›Ohlsdorfer Bazillen‹ sind doch ganz schön stark! Jedenfalls so stark, dass Herr Unseld heute und voraussichtlich auch morgen nicht in den Verlag kommen wird. Ihm selbst tat es sehr leid, die Reise absagen zu müssen, doch letztlich musste er sich dem Rat des Arztes beugen.«3 Im November erwirbt Th. B. in Ottnang am Hausruck ein am Wald gelegenes Haus.
4 Zu einer Theatertournee mit Die Macht der Gewohnheit kommt es 1975 (siehe Anm. 1 zu Brief 283).
5 Th. B. spielt hier auf Giorgio Strehlers Spiel der Mächtigen an, eine Bearbeitung von William Shakespeares Heinrich VI. mit einer Gesamtlänge von sechs Stunden.
6 Der Brief trägt rechts oben die handschriftliche Notiz von S. U.: »tel.[efonisch] erl[edigt]«