[354; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
3. Oktober 1977
Lieber Thomas Bernhard,
auf dem Kobenzl war es schön, anregend, angenehm. Für die Messe habe ich mir gar Prestige-Bräune zugelegt!
Ich habe alles sehr genau in Kopf und Herz festgehalten, das Finanzielle wird erledigt. Bitte schicken Sie mir bald die Manuskripte für den Prosaband »Das Jahr«. Ich muß ja bald einen Text dazu schreiben.1
Den Text für »Immanuel Kant« habe ich formuliert, er liegt hier an. Sind Sie einverstanden?
Im Buche des Großvaters habe ich gern gelesen, es hat mir die Fahrt von Salzburg nach Frankfurt angenehm verkürzt. In den nächsten Tagen führe ich Besprechungen in der Bitte Maleta.2
Herzliche Grüße3
Ihr
Siegfried Unseld
P. S.: Warum schreiben Sie im »Immanuel Kant« »Columbia-Universität« und nicht »Columbia University«?4
1 Ob S. U. mit »Das Jahr« Ja meint — in seinem Brief vom 27. Juni erwähnt Th. B. das v. a. in der ersten Hälfte des Jahres 1977 entstandene Manuskript noch unter dem Titel Die Perserin – , ob Th. B. diese Prosaarbeit zwischendurch »Das Jahr« nennen wollte oder ob S. U. sich auf den Stimmenimitator bezieht, der aus kurzen Prosastücken besteht und 1978 erscheint, oder auf eine Sammlung von anderen Prosatexten, die letztendlich nicht zustande kommt, ist nicht eindeutig zu klären.
2 In seinem Reisebericht Salzburg, 30. September 1977 hält S. U. über das Treffen mit Th. B. im Salzburger Hotel Kobenzl (auf dem Gaisberg gelegen) u. a. fest:
»Im Flugzeug die Komödie ›Immanuel Kant‹ gelesen. Was man zumindest sagen muß: ein echter Bernhard. Und das zweite: sicherlich ein spielbares und leicht aufführbares Stück. [. . .]
Thomas Bernhard selbst war in guter Verfassung, ja freundlich, verständnisvoll, nicht provokativ, nicht aggressiv.
Er ist voller Pläne, Arbeiten, das ist es.
Wir besprachen das folgende:
›Immanuel Kant‹. Uraufführung Peymann, Stuttgart. (Peymann besucht ihn in der nächsten Woche.) Die Proben beginnen im Oktober. Uraufführung Dezember 77 oder Januar 78. Das Stück ist für alle Theater freigegeben.
Zum Uraufführungstermin soll ›Immanuel Kant‹ in der BS vorliegen. Ich habe den Text wieder mitgebracht, von Bernhard leicht modifiziert. [Das ursprüngliche Motto von Diderot wird durch ein Artaud-Zitat ersetzt.] Er will weder für die Aufführung noch für das Buch am Text irgend etwas ändern. Wir wollen es so machen, daß wir den Band dann unangekündigt bringen und in der Höhe der Fortsetzung ausliefern. Wir werden eine sehr kleine Auflage unternehmen.
Er selbst schreibt am zweiten Stück ›Die Kehlköpfe‹. Es wird im Frühjahr 1978 abgeschlossen und kann also dann in der neuen Saison 78/79 aufgeführt werden.
Am Roman ›Die Unruhe‹ (noch nicht feststehender Arbeitstitel) arbeitet er, doch will er bis zum 1. Mai die Arbeit daran abschließen, das Buch kann dann für das 2. Halbjahr 1978 geplant werden.
Sehr früh möchte er in der BS einen neuen Prosa-Band ›Das Jahr‹ haben, am liebsten März oder April 1978. Wir erhalten in drei Wochen das Manuskript. Wir müssen also in unserer BS-Planung hier einen Platz frei lassen.
Ebenfalls arbeitet er an ›Erinnern‹, dies will er im Winter 78 abschließen.
Auch im Winter 78 wird ›Atzbach‹ abgeschlossen.
Dringlich möchte er die ›Ereignisse‹, die 1969 im Colloquium-Verlag Berlin erschienen sind, in der Insel-Bücherei (nicht im suhrkamp taschenbuch) sehen. Für die Insel-Bücherei wäre evtl. auch der Gedichtband ›In hora mortis‹ denkbar, doch da zögerte ich dann doch sehr.
Er ist ebenfalls einverstanden, daß sein Stück ›Minetti‹ in ›Spectaculum 1978‹ aufgenommen wird.
Dann sprach er sehr viel von seinem Großvater Johannes Freumbichler. Von ihm erschien 1942 und später noch einmal nachgedruckt ›Auszug und Heimkehr des Jodok Fink. Ein Buch vom Abenteuer des Lebens‹, Rainer Wunderlich Verlag. Die Rechte sind wieder an die Familie zurückgefallen, Bernhard hält sie inne. Er bittet dringlich, daß wir dieses Buch im Insel Verlag neu herausgeben sollten, es sei ein Buch exakt für den Verlag und für unsere Zeit. Ich möchte Herrn Berthel sehr bitten, den Roman zu lesen. Ich habe etwa 40 Seiten auf dem Flug von Salzburg nach Frankfurt gelesen, das ist natürlich ein bißchen biedermännisch, aber es transportiert natürlich sehr viel Unmittelbares.
Sehr gern hätte Bernhard die Rechte von Freumbichlers Roman ›Philomena Ellenhub‹ vom Zsolnay Verlag zurück, aber der Verlag beharrt auf den Rechten dieses Buches. [. . .]
Von seinem Guthaben möchte er DM 30.000.— haben; die monatlichen Raten sollen vom 1. Januar 1978 an auf DM 1.700.— erhöht werden. [. . .]
Er gab mir dann einen Brief von Herrn Andreas Maleta. Ich soll für ihn, den Sohn des Herausgebers der ›Oberösterreichischen Nachrichten‹, eine Volontär- oder Arbeitsstelle bei einer Zeitung beschaffen. Ich werde hier bei der FNP [Frankfurter Neue Presse] und bei Joachim Kaiser deswegen anfragen.«3 Der im Verlag aufbewahrte Durchschlag des Briefes trägt unten auf der Seite den Vermerk: »cc Frau Doufexis«.
4 Der beigelegte Ankündigungstext für Immanuel Kant wird auf S. 21 der Programmvorschau des Suhrkamp Verlags für das erste Halbjahr 1978 abgedruckt, mit nur einer Änderung: Die Schreibweise »Columbia-University« wird in der Vorschau zu »Columbia University«. In gekürzter Form fungiert er als Klappentext der Ausgabe, die als Band 556 der Bibliothek Suhrkamp am 7. März 1978 erscheint.