[84; Anschrift: Ohlsdorf; Briefpapier des Insel Verlags]
Frankfurt am Main
13. August 1969
Lieber Herr Bernhard,
schönen Dank für Ihren Brief vom 6. August. Ich hatte selbstverständlich ein ausführliches Gespräch mit Frau Dr. Botond. Es ergab sich aber für mich keine Möglichkeit mehr, Frau Botond von ihrem festen Entschluß abzubringen. Ich war sehr überrascht, daß sie schon Ende September ausscheiden will und nicht erst zum vertraglich vereinbarten Ausscheidungstermin, dem 30. Juni 1970. Der Hauptgrund liegt in ihrem Isoliertsein ganz generell, bei den Mitarbeitern des Verlages und insbesondere auch bei ihren Lektoratskollegen. Und dann möchte sie auch keine Verantwortung übernehmen für die immer schwieriger werdende Situation der Insel; und die Situation wird, im Hinblick auf das Programm wie auch auf die materielle Lage, doch komplizierter. Sie hat keine Vorstellung, wie das weitergehen soll, und möchte deswegen auch nicht von irgendeiner Verantwortung belastet sein. Ich glaube, daß Ihre gravierenden Überlegungen gegen die Emotionen nicht ankommen können.
Wir werden darüber selbstverständlich sprechen, wenn ich bei Ihnen sein werde. Den genauen Termin schreibe ich Ihnen noch. Ich kann das heute noch nicht mitteilen, da Günter Eich im Krankenhaus ist.
Heute beerdigen wir Theodor W. Adorno. Merkwürdige Zeit der Morde, der Tode, der Beerdigungen und Prozesse.1
Herzliche Grüße
Ihr
Siegfried Unseld
1 Der am 6. August 1969 in Visp gestorbene Th.W. Adorno wird am 13. August auf dem Frankfurter Hauptfriedhof beerdigt. Am Tag der Beerdigung Adornos werden in Los Angeles die schwangere Schauspielerin Sharon Tate sowie vier weitere Personen von Mitgliedern der »Manson-Family« getötet.