[504; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
13. Mai 1987
Lieber Thomas,
das waren keine guten Nachrichten, die Sie heute an Burgel Zeeh gaben.1 Ich kann schon verstehen, daß es für einen Schriftsteller Phasen gibt, in denen man die eigenen früheren Arbeiten mißbilligt oder gar ablehnt, aber ich bin sicher, es kommen auch wieder Phasen, wo Sie sich zu dem, was Sie geschrieben haben, auch wieder öffentlich bekennen wollen. Sie dürfen sicher sein: diese Gedichte können bestehen. Sie mögen heute nicht mehr Ihr Ausdruck sein, darauf kommt es aber gar nicht an. Wichtig ist doch nur, daß Sie diese Dichtungen einmal geschrieben haben. Ich bitte Sie, das also noch einmal zu bedenken. Die Nummer der Insel-Bücherei steht für »In hora mortis« fest; der Titel ist angekündigt, der Buchhändler weiß Bescheid. Und also wartet die Welt.
Bei Christine Lavant ist die Sache anders. Auf Ihren Wunsch hin haben wir Rechte eingeholt, sie wurden uns zunächst vom Verlag verweigert. Dann wandten wir uns an einen Erben, der im Hinblick darauf, daß Sie diese Auswahl machen, seinen Verlag bestimmt hat, uns doch die Rechte zu geben. Danach haben wir einen Vertrag abgeschlossen, der uns zur Herausgabe verpflichtet. Sie haben die Auswahl ja schon getroffen, wie ich weiß. Wir können diese Auswahl drucken ohne Vermerk auf den Auswählenden. Ob Sie mir die Reihenfolge Ihrer Auswahl bekanntgeben?
Ich bitte um Verständnis für meine Bitten.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Siegfried U.
1 S. U. bezieht sich damit auf ein Telefonat zwischen Burgel Zeeh und Th. B. am 13. Mai, dessen Inhalt sie in einer Telefonnotiz festhält:
»Ganz ohne Vorwarnung teilte er mir seine neueste und letzte und endgültige Entscheidung mit: er möchte die ›beiden‹ Bücher nicht machen, das sind:
1. ›In hora mortis‹, IB 2. Halbjahr 1987
und
2. ›Christine Lavant, Gedichte‹, BS 970 (Dezember)
Wir möchten das bitte verstehen, er sitzt an einem Brief an Frau Borchers, er entschuldige sich vielmals. So käme in diesem Jahr nur die ›Elisabeth II.‹, im nächsten Jahr dann ein Donnerschlag.«
Der angekündigte Brief an Elisabeth Borchers trägt ebenfalls das Datum 13. Mai und lautet:
»Liebe Elisabeth Borchers,
ich kann die Lavantgedichte nicht herausgeben; nach wochenlanger intensiver Beschäftigung damit, spricht jetzt alles in mir dagegen und ich muss die Idee aufgeben. So bleibt es nur bei der Variation eines nach Jahren wiederaufgenommenen Themas, aus dem ich gelernt und Sie hoffentlich nicht zuviel Ärger davongetragen haben.
Auch ›In hora mortis‹ erscheint nicht. Auch dieses Vorhaben bleibt in zweimal gesetztem Umbruch stecken für immer.
Für das für Sie wahrscheinlich doch abrupte Aufgeben dieser zwei leidigen, aber nicht weltbedeutenden Vorhaben, bitte ich ganz und gar inständig um Nachsicht.
Wäre ich in Frankfurt, meine Lage wäre nicht leichter; bei einem Mittagessen mit Ihnen hätte ich zu dem Vergnügen an sich wahrscheinlich die grösseren Chancen, auf elegante Weise davonzukommen, als auf dem Papier.
Mit eingezogenem Kopf Ihr
Thomas Bernhard«