[271; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
12. November 1973
Lieber Thomas Bernhard,
über den weiteren Fortgang der Salzburger Sache werden wir uns ja laufend informieren. Ich möchte hier noch einmal der Ordnung halber gravierende Gesichtspunkte unseres Gesprächs festhalten.1
Sie haben entschieden, daß der Roman »Korrektur« nicht in diesem Frühjahr, sondern erst Mitte August erscheinen soll. Ich sagte Ihnen unumwunden, daß ich diese Entscheidung für falsch halte, und ich bin noch jetzt dieser Meinung; aber ich konnte Sie nicht umstimmen und muß deshalb also diesen August-Termin akzeptieren. Ich bitte Sie um Ablieferung des Manuskriptes bis zum 15. März 1974, ein weiteres Verschieben ist dann nicht mehr möglich, weil sonst unsere Finanzrechnung in Unordnung gerät, d. h., der große Saldo nicht abgedeckt sein kann, den wir bis zum 31. 12. 1974 abdecken wollten.
Wir haben folgendes Publikationsprogramm besprochen:
»Die Jagdgesellschaft«, Bibliothek Suhrkamp, April 1974;
»Macht der Gewohnheit«, Bibliothek Suhrkamp, Juli 1974;
»Korrektur«, Leinen-Ausgabe, Mitte August;
»Erinnern«, Bibliothek Suhrkamp, April 1975;
»Bernhard Reader«, April 1975.
Für 1975 oder 1976 haben wir dann im Rahmen der suhrkamp taschenbücher einen Band »Salzburger Stücke« vorgesehen; dann wären die Einzelausgaben in der Bibliothek Suhrkamp ausgelaufen.
Über eine erneute Publikation von »Amras« möchte ich nachdenken dürfen; das hängt ein wenig auch mit der Konzeption des Readers zusammen.
Was die Textausgabe für den »Kulterer« betrifft, so beansprucht hier Herr Schaffler vom Residenz Verlag die Rechte; er hat mir außerdem gesagt, Sie hätten ihm ein »kleines Büchlein« versprochen. Dieses Versprechen betrübt mich, denn einmal haben Sie mir davon nichts gesagt, und zum anderen ist es der Sinn unserer Zahlungen und vor allem der weiteren monatlichen Zahlungen, daß wir eine generelle Option auf all das ausüben, was Sie schreiben. Ich bin aber einverstanden, wenn Sie Herrn Schaffler das Recht geben, eine »Kulterer«-Ausgabe zu machen, irgendwie neben dem »Italiener« wäre das ja sinnvoll;2 Sie deuteten an, daß Sie ein Ballett-Libretto schreiben wollen, dieses, meine ich, sollte vielleicht dem Reader vorbehalten sein; ich wäre aber auch damit einverstanden, daß Sie es als Einzelausgabe Herrn Schaffler überlassen, damit Sie Ihr Versprechen erfüllen können.
Unter der Voraussetzung dieses Publikationsprogramms und auch auf der Basis der Aufführungsrechte für Ihre Stücke und für die »Jagdgesellschaft« haben wir folgende materielle Vereinbarung getroffen:
Am 31. 12. 1973 beträgt unser Saldo DM 94.500.—.
DM 20.000.— bleiben als ständige Optionszahlungen stehen, so daß sich dann noch ein Betrag von DM 74.500.— ergibt. Dieser Betrag von DM 74.500.— soll bis zum 31. 12. 1974 abgegolten sein; wird durch Honorarabrechnungen Ihrer Werke und die sich ergebenden Tantiemen der Betrag nicht erreicht, so verfällt er mit Wirkung vom 31. 12. 1974; wenn sich größere Honorarerlöse ergeben haben, werden diese Ihnen gutgeschrieben.
Wir vereinbarten dann die Erhöhung der Monatszahlung vom 1. Januar 74 an von DM 1.000.— auf DM 1.250.—. Bitte, stellen Sie in Rechnung, daß diese zwölf Zahlungen 1974 dann immerhin auch einen Betrag von DM 15.000.— ergeben.
Ich hoffe, ich habe die Dinge so dargestellt, wie wir sie besprochen haben. Ihre Satz- und Farb- und Widmungswünsche für die beiden Stücke sind festgehalten.
Auch sonst habe ich vieles fest in mir verankert. Die Begegnung mit Ihnen war wiederum ungewöhnlich, einprägsam, mit Untertönen der Freundschaft, des Vertrauens und des Mißtrauens. Im ganzen, meine ich, haben wir uns verstanden. Wenn dieser Brief nicht ganz in Dur gehalten ist, so nur deshalb, weil ich über Ihre falsche Entscheidung im Hinblick auf den Erscheinungstermin der »Korrektur« nicht hinwegkomme.
Schöne Grüße
Ihr
Siegfried Unseld
P. S.: Sehr gutes Gespräch mit Schaffler; wir treffen uns im Winter einmal zum näheren Kennenlernen beim Skifahren.
1 Für die Chronik hat S. U. einen Bericht Thomas Bernhard, 8./9. November 1974 Salzburg geschrieben (die Jahreszahl ist eine Fehldatierung):
»Rudolf Rach begleitete mich zum Flughafen, er berichtete mir über den jüngsten Stand der Lage: Bernhards Stück ›Die Macht der Gewohnheit‹ soll in Salzburg uraufgeführt werden und danach von der neuen Suhrkamp-Theater-Produktions-Gesellschaft auf Gastspielreise gesandt werden. Das Recht erwirbt die Suhrkamp AG Zürich von Bernhard direkt und gibt es an Frankfurt; am Morgen des 8. November war die erste Überweisung der Suhrkamp AG Zürich getätigt: DM 20.000.— von Zürich an Thomas Bernhard.
Rach erzählte mir, der Regisseur Dorn hätte ihm erklärt, zwar die Uraufführung inszenieren zu können, aber keine Schauspieler zu finden, die in der Lage seien, anschließend sechs Wochen oder gar zwei oder drei Monate zu reisen.
Mit diesem Bescheid stieg ich ins Flugzeug. Meine Fluglektüre war der Text ›Die Macht der Gewohnheit‹, das neue Stück von Thomas Bernhard. Der Text, ein ganzer Bernhard. Thema: Sinn und Unsinn des Künstlerischen in einer zu Ende gehenden Welt, die ja nur von Kranken und Krüppeln regiert wird. Bernhard handelt sein Thema klar und hart ab, und doch ist es ihm gelungen, es leicht, fast heiter, als eine Komödie umzusetzen. Es gibt selbstverständlich keine ›Geschichte‹, fünf Personen, ein 6ojähriger Zirkusdirektor, der versucht, mit einer Gruppe, seiner ihm ergebenen 20jährigen Enkelin, einem Jongleur, einem Dompteur und einem Spaßmacher, das ›Forellenquintett‹ einzustudieren. Nie gelingt eine Probe, nie schaffen sie die Perfektion, immer kommt irgend etwas dazwischen; der Jongleur erhält ein großes Angebot vom Zirkus ›Sarrasani‹ (›selbst das Genie / wird noch einmal größenwahnsinnig / wenn es ums Geld geht‹); dem Dompteur wird von dem Löwen Max ein Stück Fleisch ausgerissen, er muß aber weiter am Klavier Schubert spielen, schließlich zertrümmert er das Klavier; der Jongleur ist der intellektuelle Gegenpartner, eine Art Super-Thomas Bernhard, der Spaßmacher versucht intrikate Scherze. Am Schluß zerstört der Spaßmacher das Klavier, wiederum gelingt die Probe des ›Forellenquintetts‹ nicht, alles bricht zusammen, erschöpft lehnt sich am Schluß der Zirkusdirektor in seinem Stuhl zurück, öffnet zur Erholung das Radio, und hier kommen vollkommene Töne aus dem ›Forellenquintett‹ heraus.
Die Sprache ist ein völliges Stakkato, keine durchgehenden Sätze, alles Ausrufesätze, sehr pointiert. Der Spaßmacher, ›er hat nicht zu lachen. Er hat nichts zu lachen.‹
Ein Stück, das Bernhard – sicherlich in irgendeiner Art Anlehnung an Strawinskys ›Geschichte vom Soldaten‹ – für den Zirkus der Salzburger Festspiele geschrieben hat, und er will es auch als Wanderzirkus durch die deutschen Lande schicken, ein Theater soll dieses Stück nicht aufführen; ich kann mir vorstellen, daß dieses Stück, artistisch gut gemacht, vielleicht das erfolgreichste Stück von Thomas Bernhard werden kann.
Er holte mich in Salzburg ab, gut gelaunt; wir übernachteten im ›Österreichischen Hof‹, aßen gut zu Mittag, tranken reichlich Wein und waren dann bis 17 Uhr zusammen. Er war reizend, liebenswürdig, lud mich ein; um 15 Uhr gingen wir dann auf mein Zimmer und pirschten uns an die ›heiklen Themen‹ heran: an seinen Saldo von DM 94.500.— (ohne die Zürcher Zahlung von DM 20.000.—); dann wollte er die Erhöhung seiner monatlichen Zahlungen; er war sehr froh, daß ich ihm melden konnte, daß das Konto I [siehe Brief 215], also seine Werke bis hin zu ›Ignorant‹ und ›Gehen‹, ausgeglichen war! Dies nach Jahren. Wir hätten von nun an die Sache streichen müssen. Eben solch eine Vereinbarung traf ich mit ihm im Hinblick auf die DM 74.500.—; DM 20.000.— bleiben als Option stehen, die DM 74.500.— sind am 31. 12. 1974 entweder ausgeglichen (überschüssiges Honorar wird ihm überwiesen) oder verfallen zu unseren Ungunsten. Ich kann mir aber vorstellen, daß wir diese DM 74.500.— durch Publikationen, vor allem aber durch die Aufführungsrechte ›Jagdgesellschaft‹ und anschließende Fernsehrechte hereinbekommen. Er wollte dann die monatliche Zahlung erhöht sehen auf DM 1.500.—, das lehnte ich ab, ich sagte, daß ich bereit sei, ab 1. 1. 1974 einen monatlichen Betrag von DM 1.250.— zu zahlen. Er sah das zunächst ein. Ziemlich hart wurden dann die Auseinandersetzungen im Hinblick auf den Erscheinungstermin der ›Korrektur‹. Der Roman ist fertig, er will ihn jetzt aber nicht herausgeben. Einmal möchte er keine ›Massierung‹ von zwei Stücken und dem Roman, zum anderen aber habe ich den Eindruck, daß er jetzt (nachdem er ein kurzes Ballett-Libretto geschrieben hat) einen längeren Roman schreiben möchte und er dazu die nächsten Monate benötigt. Erst wenn sein neuer Roman fertig ist, wird er dann die ›Korrektur‹ uns übergeben.
Schließlich das Thema ›Die Macht der Gewohnheit‹: die Honorierung für Salzburg und die Tournee. Er wollte, daß ich mit dem Festspielpräsidenten Kaut über einen Betrag von DM 50.000.— verhandeln sollte. Das lehnte ich ab. Für vier Aufführungen sei dieser Betrag einfach unzumutbar. Ich sagte ihm, daß ich DM 40.000.— verlangen wollte, und holte seine Zustimmung ein, diese DM 40.000.— als unsere letzte Bedingung anzugeben. Die Tournee wollte Bernhard unbedingt haben. [. . .] Wir machten dann einen langen Spaziergang durch Salzburg, immer wieder unsere Probleme erörternd, gingen Abendessen, er wollte sich eigentlich danach zurückziehen, aber wohl der angenehme Meraner Rotwein verführte ihn zum Erzählen. Ich verbrachte zwei geradezu wunderbare Stunden mit ihm, er erzählte mir von seinem Herkommen, von seinem Aufwachsen, von seiner ganz und gar unmöglichen Familie, in der alles durcheinanderlief, nichts stimmte, Inzucht und Verbrechen waren an der Ordnung. Er begann zu schreiben als Theater- und Prozeßberichter; schließlich, aus Verehrung für Thomas Wolfe und Faulkner, begann er zu schreiben. Im Jahr 1960 hat er ein Manuskript ›Der Wald auf der Straße‹ an den Suhrkamp Verlag eingeschickt. Er bekam es zurückgesandt mit einer vervielfältigten Karte [siehe Anm. 3 zu Brief 1]. Heute ist er froh, daß Suhrkamp das Manuskript abgelehnt hat; es gibt auch ein zweites Manuskript ›Schwarzach St. Veit‹, das die Verlage nicht genommen hätten. Auch darüber ist er froh. Die beiden Manuskripte hat er noch. Er will sie mir vielleicht zeigen für den Reader. Überhaupt war er sehr froh, daß ich den Reader für ihn herausgeben sollte. Er würde mich dann auf ein Manuskript hinweisen, das er für sehr interessant hielte: ›Die Irren und die Häftlinge‹ sind in einer Klagenfurter Zeitung abgedruckt worden. [Die Irren. Die Häftlinge erschienen erstmals 1962 als Privatdruck im Klagenfurter Verlag Ferdinand Kleinmayr.]
Dann verabredeten wir uns für den nächsten Morgen 9 Uhr. Als ich in den Frühstückssaal kam, war Bernhard schon zwei Stunden unterwegs gewesen, er hatte schlecht geschlafen, alles tat ihm leid, was wir gesprochen hatten, er verlangte DM 1.500.— monatlich, was ich ablehnte; die paar Korrekturen oder Korrekturvorschläge, die ich ihm im Hinblick auf den Text ›Die Macht der Gewohnheit‹ gemacht habe, lehnte er ab, was er gestern als Fehler im Abschreiben bezeichnet habe, sah er jetzt als gut und richtig an, er wollte keinen Punkt, kein Komma, kein Wort, keine Zeile verändern. Wieder erneute Ausfälle gegen Rach, so laut, daß die Mitfrühstücker überrascht aufsahen. Ich konnte ihn kaum beruhigen. Er war hochgradig nervös, er muß eine üble Nacht gehabt haben.
Er begleitete mich dann zum Festspielhaus, dann verabschiedete er sich und fuhr nach Wien.
Mein Gespräch mit Herrn Kaut war freundlich. Ich sagte ihm, daß Bernhard DM 50.000.— für die Aufführung erwarte, aber er sagte, das würde für ihn bedeuten, die Sache sofort abzusetzen, und zwar könne die Entscheidung dann sofort fallen. Ich sagte ihm meine Meinung: DM 40.000.—, das lehnte er nicht rundweg ab. Doch die Bedingung, die Uraufführung an die Tournee zu knüpfen, mußte er ablehnen. Er bestätigte mir abermals, daß Dorn ihm gegenüber nicht erwähnt habe, die Durchführung der Tournee sei unmöglich. Die DM 40.000.— wollte er evtl. aufbringen, aber andererseits würde dann seine Forderung für Inszenierung und Bühnenbild gegenüber der Theater-Produktion höher werden. DM 40.000.— gegen DM 40.000.—; dann sparen wir die Überweisungskosten.
Wir verblieben so, daß wir den Versuch noch einmal machen wollten, bis zum Freitag, dem 23. November, müßte alles entschieden sein, dann gebe er sein Programm in Druck.«2 Der Kulterer. Eine Filmgeschichte erscheint 1974 im Residenz Verlag (siehe Anm. 1 zu Brief 332).