[60; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
23. Januar 1969
Lieber Herr Bernhard,
schönen Dank für Ihren Brief vom 12. Januar. Mich hält eine Rückfallgrippe in Bann und Bett, so kann ich die Welt aus der Perspektive eines visiologischen |diktiert: misologisch| Kranken ansehen . . .
Wir reservieren gerne eine editions-Nummer für »Watten« (für November). Das Programm ist bis einschl. Oktober schon fixiert und angekündigt, das neue Programm beginnt November 1969. Ich freue mich sehr, daß wir in der edition diesen Text bringen können.
Aber, lieber Herr Bernhard, das sollte uns doch nicht abhalten, zu guten Zeiten im Herbst Ihren Roman herauszubringen. Wenn Sie ihn fertig haben, das ist freilich die wichtige Frage. Ich glaube nicht, daß hier eine abträgliche Kumulierung vorläge, im Gegenteil, und ich bitte Sie, meiner Erfahrung wenigstens einmal in diesem Punkte zu vertrauen. Die Dinge stützen sich gegenseitig gerade auch, wenn wir eine schöne Uraufführung für den »Boris« bis dahin erhalten, zumindest vereinbaren können. Vielleicht gelingt uns dann konzentriert der gewünschte Durchbruch.
Es gibt noch einen anderen Gesichtspunkt: die beiden Romane, die den Herbst markiert hätten, Romane von Johnson und Grass, werden aller Voraussicht nach nicht fertig.1 Es wird kaum etwas geben. Sie stünden allein da, wenn Sie einen Roman vorlegen könnten. Das wäre eine unvergleichliche Situation. Überhaupt Ihre Situation, die eines produktiv Schreibenden, während Ihre Kollegen ja immer mehr in hypertropher Skepsis unproduktiv werden.
Ich traf neulich im Zuge den Regisseur Hans Hollmann und erzählte ihm von »Boris«. Er war gleich Feuer und Flamme und möchte dringlich das Stück inszenieren. Wir wollen sehen, wie es sich realisiert.
Mit freundlichen Grüßen
|Ihr verstörter| Unseld
1 Der erste Band von Uwe Johnsons Jahrestage erscheint im September 1970.