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Ohlsdorf
10. 9. 71
Lieber Herr Doktor Unseld,
meinen Besuch in Frankfurt in der Vorwoche habe ich nicht in bester Erinnerung und ich möchte einen solchen Besuch unter den Umständen, wie ich Sie in Frankfurt angetroffen habe, nicht mehr wiederholen.
Was den Vertrag über mein neues Schauspiel betrifft, den ich mit dem Theaterverlag gemacht habe, und nur auf diesen Vertrag beziehe ich mich, so ist Ihnen doch klar gewesen, dass ich etwas unterschrieben habe, was ich, nach reiflicher Überlegung, nicht unterschreiben habe wollen und dass Sie mir in der uns beiden noch deutlich gegenwärtigen Weise als Szene die Möglichkeit verweigert haben, in dem Vertrag nachträglich zu ändern, was ich geändert haben wollte, gehindert haben also am Gebrauch eines Rechtes, das bekannt ist: gleich von was für einem Vertrag kann jede juristische Person auf der ganzen Welt innerhalb vierundzwanzig Stunden zurücktreten.
Nach meiner Rückkehr aus Frankfurt habe ich Ihnen einen längeren Brief geschrieben, den ich aber nicht abgeschickt habe, weil ich es für besser hielt, nichts mehr zu sagen und die Dinge sich von selbst entwickeln zu lassen.1 Jetzt höre ich aber aus Salzburg, dass mich der Verlag (Wer? Der Theaterverlag?) als »verwirrten Künstler« bezeichnet und dass »selbstverständlich« der Verlag den Vertrag mit den Festspielen mache undsoweiter.
Weder auf »verwirrt« noch auf »Künstler« noch auf »verwirrter Künstler« und schon gar nicht auf »selbstverständlich«, alles Ausdrücke, die wenigstens nicht diplomatisch, schon gar nicht vertrauenerweckend sind, möchte ich näher eingehen, aber schon scheint eingetreten zu sein in der Verhandlung zwischen Frankfurt und Salzburg, was ich zu Recht befürchtete: eine Art von Interpretation des Verhältnisses zwischen mir und dem Verlag, die mir zuwider ist. Was Salzburg betrifft, noch einmal präzise: der Verlag macht einen Vertrag unter gänzlicher Berücksichtigung dessen, was ich persönlich mit Salzburg abgesprochen habe, das betrifft naturgemäss auch das Honorar, das für die vier oder fünf Aufführungen in Salzburg dreissigtausend Mark ausmacht und die zur Gänze von Salzburg an mich zu überweisen sind.
Was die Fernsehaufzeichnung des Stückes betrifft, über diese ist, wie ich höre, bereits eine Korrespondenz zwischen Köln und Wien und Salzburg in Gang, verhandelt der Verlag laut Vertrag, aber bitte, möchte ich dem Theaterverlag sagen, verschleudern Sie mich nicht.
Ab den Salzburger Aufführungen habe ich mich vertraglich an den Theaterverlag gebunden, ganz bewusst gebunden, das alles ist ordnungsgemäß zu akzeptieren.
Von der Fernsehaufzeichnung ist mein Darlehen zu tilgen.
Das Stück werde ich solange zurückhalten als notwendig und dadurch den Intrigen und der Geschwätzigkeit und der dramatischen Gemeinheit der Theaterleute entziehen.
Frankfurt ist für mich kein guter Boden, es ist ein leerer Raum und ein luftleerer Raum.
Was ich in Frankfurt nicht gesagt habe, jetzt: dass ich um Durchschriften der gesamten Korrespondenz des Theaterverlages, meine Stücke und dadurch unmittelbar meine Person betreffend, bitten muss, damit ich im Bild bin.
Es geht einfach nicht, dass mich betreffende Vorgänge (wie Kammerspiele München zum Beispiel) mir selbst nicht bekannt sind, weil sie mir vom Verlag einfach nicht bekannt gemacht werden. Das ist eine Absurdität, die ich mir nicht leisten, nicht gestatten will.
Sollten Sie einmal die Möglichkeit haben, mit mir in Ruhe und weit im Hintergrund einer mir unerträglichen Hektik und im Grunde gigantischen dilettantischen Geschäftigkeit, wie sie das heutige Deutschland für mich darstellt, zu reden, wozu Sie einmal Lust hatten, mit mir zu gehen, freue ich mich natürlich. Die Zukunft wird schwierig sein.
Herzlich Ihr
Thomas Bernhard
1 Dieser nicht abgeschickte und mit Ohlsdorf, 3. September 1971 datierte Brief hat sich im Nachlaß erhalten (NLTB, B 613 / 1 / 2; zu diesem Brief existiert eine undatierte Vorstufe):
»Lieber Herr Doktor Unseld,
wieder zuhause, denke ich, dass es besser gewesen wäre, ich hätte Ihrer Einladung, nach Frankfurt zu kommen, nicht Folge geleistet, die Erinnerung drückt jetzt so schwer auf dem Verhältnis zwischen mir und Ihnen und Ihrem Verlag, dass ich sagen muss, dieses Verhältnis hat sich durch die Eindrücke, die ich während unseres Zusammenseins gehabt habe und die mir jetzt nachdem ich der Szene entkommen bin, erst deutlich erscheinen, verfinstert.
Als wäre ich, freiwillig, in eine brutale Maschine hineingegangen, die mit mir gemacht hat, was Maschinen mit Menschen machen, die Individualität und die Art und Weise eines Menschen wie ich, nicht kennen, weil sie, diese Maschinen, ganz einfach so konstruiert sind, wie ich sie erlebt habe, als Sensibilitätszermalmer- und Ignorierer.
Sie sollen nicht glauben, dass mit mir auch die totale Fürchterlichkeit meines Erlebnisses aus Frankfurt abgereist ist, und dass sich auslöschen lässt, was auszulöschen zu wünschen gewesen ist, vor allem jener von einer doch grauenhaften Dämonie getriebene Augenblick, in welchem ich mir zu gestatten getraute, eine Änderung des letzten Passus in dem am Vortag von mir unterschriebenen, mir heute ominös vorkommenden Vertrag, das neue Stück betreffend, anzubringen. Juristisch ist es ein Recht, innerhalb vierundzwanzig Stunden von gleich welchem Vertrage zurückzutreten, umso mehr wäre es moralisch etcetera selbstverständlich gewesen, dass Sie mich wenigstens anhören, umso mehr, als ich an diesem Vormittag (im Gegensatz zum Vortag) in Ruhe und ohne Ermüdung aller Sinne bereit gewesen bin zu allen Erklärungen. So aber haben Sie durch Ihre Handlungsweise blitzartig beinahe alles zerstört. Und mich in eine Rolle gedrängt, die ich nicht spiele.
Ich will aber nicht mehr auf die Sache eingehen und die Verträge sind, wie sie sind und sie bleiben so, wie sie sind. Mag daraus kommen, was will.
Was Salzburg betrifft, muss aber festgestellt werden, das ist meine Sache, die durch keinerlei Aktionen von seiten des Verlages gestört werden darf; diese Disposition ist die meinige und sie ist aus der Erfahrung, die ich gemacht habe. Was über Salzburg hinaus geschieht, ist mir gleichgültig, ich bin niemals heikel meinen abgestossenen Erzeugnissen, sagen wir ruhig, erdachten und aufgeschriebenen Kindern gegenüber.
Was die Finanzen betrifft, so glaube ich nicht, dass Sie tatsächlich fundamental oder auch nennenswert riskieren. Meine Arbeit in der Abgeschlossenheit mit der ganzen Last ihrer Erscheinungen, die viel härter ist, als es sich die heutige stumpfsinnige Massengesellschaft mit ihrer allesumfassen- und alles integrierenwollenden soziologischen und philosophischen und pseudopolitischen Heuchelei vorstellt, ist mir durch ihr durchaus rücksichtsloses Gewicht bekannt und mein Einsatz ist zweifellos der grösste.
Es hat keinen Sinn zu schweigen, wo man sich zu erklären hat. Der nächste Schritt, als Fortschritt zu verstehen, wird absolut schwierig sein.
Herzliche Grüsse Ihr
Thomas Bernhard«