[109; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
26. Februar 1970
Lieber Herr Bernhard,
bei Frau Botond meldete sich weder gestern noch heute jemand am Telefon. Sie wird schon abgereist sein.1
Ich habe an den Anwalt geschrieben und ihm die Bücher geschickt. Anbei die Kopie meines Schreibens. Ich hoffe, die Angelegenheit wird in einer Weise erledigt, die Sie nicht auf die Dauer hin belastet.
Ich halte es doch für gut, wenn wir uns von Zeit zu Zeit sehen; jedenfalls freue ich mich immer, Ihnen zu begegnen, und ich glaube, wir zeigen uns, daß wir auch Divergenzen mannhaft besprechen können.
Ich habe hier im Hause noch einmal Ihre Bedenken zur Diskussion gestellt. Wir sind alle einer Meinung, daß Sie keine Kritik an einer »Überproduktion« fürchten sollten. Die Erzählungen »Ungenach« und »Watten« erschienen 1968 und 1969; der letzte Roman »Verstörung« 1967. Kein Vernünftiger wird Ihnen einen Vorwurf machen, wenn dann 1970 ein neuer Roman erscheint. Über Irre und Irrationale läßt sich nichts vorhersagen, aber man soll sich nicht nach ihnen richten und sie schon gar nicht fürchten.
Aus mehreren Gründen läge uns an diesem Buch. Meine Hauptüberlegung zielt durchaus auf Ihre eigene Arbeitsweise. Wenn Sie den Text allzu lange liegen lassen, verlieren Sie die Lust an ihm. Und wie auch immer die Anlage des Textes sein mag, er ist datiert, und ich meine, daß dem Schriftsteller Bernhard nicht gedient wäre, wenn er dann wesentlich später nach der Niederschrift erschiene.
Wir selber möchten, wie ich Ihnen schon sagte, das gesamte Programm des 2. Halbjahres 1970 als Jubiläumsprogramm ansehen. Und hier läge uns besonders viel an Ihrem Roman und an der Tatsache, daß Thomas Bernhard hier vertreten ist. Es kommt hinzu, daß ich die Situation für das Erscheinen des Buches taktisch für besonders günstig halte, und ich glaube, daß wir Maximales und Optimales erreichen können.
Ich würde also noch einmal dafür plädieren, daß Sie uns bis spätestens Ende März das Manuskript zuschicken. Wir können uns dann in Ruhe mit ihm beschäftigen und die Edition vorbereiten.
»Midland in Stilfs« in der Bibliothek Suhrkamp bringen wir dann im Januar oder März 1971.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dieser Lösung zustimmen würden, damit die Unsicherheiten verschwinden und wir richtig planen können.
Hegel geht Ihnen zu.
Herzliche Grüße
Ihr
Siegfried Unseld
Anlage
[Anlage; Brief von S. U. an Nikolaus Siebenaller]
Herrn Rechtsanwalt
Nikolaus Siebenaller
Schottengasse 4
Wien1
Frankfurt am Main
25. Februar 1970
Sehr geehrter Herr Dr. Siebenaller,
Thomas Bernhard hat mir gesagt, daß Sie ihn in der Prozeß-Sache »Die Furche« vertreten. Ich schicke Ihnen anbei die Stellungnahme meines Stuttgarter Anwalts in dieser Frage.
Der Suhrkamp Verlag ist Ihnen sehr verbunden, daß Sie die Vertretung übernehmen. Für mich zählt Thomas Bernhard zu den wirklich Großen der zeitgenössischen Literatur. Wir sollten alles versuchen, daß ihm aus dieser Unmutsäußerung, die er ja sicherlich nicht wiederholen wird, kein Schaden erwächst.
Ich schicke Ihnen mit getrennter Post einige Bücher von Thomas Bernhard, damit Sie selber den Rang dieses Schriftstellers prüfen können. Ich weise Sie in diesem Zusammenhang auch auf den hier anliegenden Prospekt hin, in dem wir einige Stimmen von Kritikern angeführt haben.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr sehr ergebener
[Dr. Siegfried Unseld]
Anlagen2