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Opatija/Jugoslawien
Hotel Atlantik
14. 3. 69
Lieber Dr. Unseld,
wie mir Frau Dr. Botond (hier wäre allerhand Grundsätzliches über die ungeheure Qualität dieser Frau als Institution anzuschliessen, was ich aber unterlasse, weil mir Loben in absoluten Wertkategorien das fürchterlichste ist, das es gibt) schreibt, hatten Sie die Absicht, mich um den 1. April in Ohlsdorf zu besuchen.1 Da ich die Sache nicht als Aprilscherz sondern als ein ganz und gar ausserordentliches und mich aufs Idealste ermunterndes Ereignis betrachtete und auch anschaue, ist die Tatsache, dass ich zu diesem Zeitpunkt nicht in Ohlsdorf bin, fatal fürchterlich. Nicht ganz so allerdings, wenn Sie jetzt wissen, dass ich mit dem Roman auf dem Buckel ans Meer geflüchtet bin und die besten Voraussetzungen, das Buch weiter und zu Ende zu bringen, hier im schlechtesten Wetter bei kahlen Felsen und in herrlicher Salzluft, gefunden habe.
Konkret: den Roman hoffe ich endgültig bis Ende Mai »umgebracht« zu haben. Es geht ja immer darum, ein Ungeheuer zu töten. Da liegt es dann. Dass mein »Boris« auf die Hamburger Bühne steigt, freut mich ganz pflanzlos. Ihnen wünsche ich Ruhe im Haus. Konzentration auf die Bücher.
Aber Sie fahren ja sicher bald wieder einmal in die Bayernberge und von dort ist es nur ein Katzensprung zu mir. Darauf freue ich mich.
Vielleicht finden Sie irgendeine gute Nachricht für mich und schreiben Sie mir die hierher, das wäre, glaube ich, eine gute Idee. Wenn es keine gute Nachricht für mich gibt, erfinden Sie bitte eine.
Herzlich Ihr
Thomas Bernhard
1 Anneliese Botond schreibt Th. B. am 1. März 1969: »[. . .] gestern haben wir Brauns Abschied gefeiert, er residiert schon nächste Woche in seinem eigenen Verlag. Sein letzter Abschluss war: ›Ein Fest für Boris‹, Uraufführung in Hamburg. [. . .] Unseld hat mir aufgetragen, Ihnen zu sagen, dass er um den 1. April nach Ohlsdorf könnte (möchte) und dass er dann am liebsten das Romanmanuskript mitnehmen möchte (kann?).«