[465; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
3. Februar 1984
Lieber Thomas Bernhard,
ich freue mich, daß wir uns am 10. Februar sehen werden. Wir haben uns einfach zu lange nicht mehr gesprochen, deshalb die Irritationen, Zweifel, Stimmungen.1
Einen Punkt müssen wir nochmals bereden: »Der Theatermacher«. Sie erinnern sich, daß Sie mir diesen einen persönlichen Wunsch erfüllt haben: im Rahmen des 1000er-Programms der suhrkamp taschenbücher wollten wir von den wichtigsten Autoren Bücher im Taschenbuch vorlegen. Band 1000 sind die »Notizen« von Ludwig Hohl, ihm folgen Bücher von Brecht, Hesse, Joyce, Proust, Beckett, Hildesheimer und Neuerscheinungen von Muschg, Walser, Kühn, Johnson; in dieses 1000er-Programm haben wir den »Theatermacher« aufgenommen, wir haben das angezeigt, 15 000fach, und der Buchhandel ist also darüber informiert. Ich kenne doch Ihre Vorliebe für die Bibliothek Suhrkamp, und Sie wissen, daß ich Ihren Wunsch, daß die Stücke dort erscheinen mögen, immer berücksichtigt habe. Wir können das auch in Zukunft so machen, aber, bitte, belassen wir doch dieses eine Stück im Rahmen der suhrkamp taschenbücher. Selbstverständlich kann der Text jederzeit erscheinen, wir haben ihn jetzt für Juli 1984 vorgesehen, gleichgültig, ob die Aufführung 1984 oder 1985 herauskommen wird. Im übrigen sollten wir die Aufführung in diesem Jahr noch nicht aufgeben!2
Und wenn wir weitere Pläne haben: am 1. und 2. März werde ich erneut in Wien sein, wir könnten uns, wenn Sie zu diesem Zeitpunkt ebenfalls dort sein sollten, für den Abend des 2. März verabreden.3
Herzliche Grüße
Ihr
[Siegfried Unseld]
1 Am 20. Januar
1984 hält Burgel Zeeh in einer Telefonnotiz für S. U.
fest:
»Gruß von Thomas Bernhard
Er ist bis Sonntag in Wien und wartet am Samstag abend nur auf den
Anruf von Peymann!
Er wollte Sie jetzt nicht sprechen, es gäbe ja eh nichts, aber er
wird Ihnen schreiben, was er sich so vorstellt … Er klang
etwas müde, obwohl er versicherte, es ginge ihm gut.«
Den Anruf Peymanns erwartet Th. B. nach der Uraufführung von
Der Schein trügt, die am 21. Januar
1984 im Schauspielhaus Bochum stattfindet (Regie: Claus Peymann,
Karl: Bernhard Minetti, Robert: Traugott Buhre). S. U. besucht die
Aufführung und notiert in der Chronik:
»In Bochum Uraufführung von Thomas Bernhard, ›Der Schein trügt‹.
Eine sehr interessante Aufführung. Der Text von Thomas Bernhard war
ein entwickelter Bernhard-Text. Bernhard wird immer freier. Er kann
sich selber ironisieren, und so wird das Ganze ein schönes Spiel
der Täuschungen, Selbsttäuschungen und der Mißverständnisse, die
gerade dann unter Menschen eine Rolle spielen, wenn sie eng
miteinander verbunden sind. Es ist ein wirkliches End-Spiel, ein
würdiger Nachfolger von Samuel Becketts Stück. Die Aufführung
konnte, wie auch immer, gar nicht schiefgehen, denn die beiden
Rollen wurden von Bernhard Minetti und Traugott Buhre gespielt. Und
so war es auch. Großartig, besonders Minetti war auf dem Höhepunkt.
[…] Telefonat mit Thomas Bernhard in Wien, der glücklich
war.«
Und im Reisebericht Bochum—Celle, 21.-22.
Januar 1984, heißt es über dieses Telefonat mit Th. B.: »Er
schien froh, gelöst und heiter, wollte aber eigentlich weniger vom
Erfolg des Stückes hören als vielmehr allen Beteiligten einen
angenehmen Abend wünschen. Ich habe ihm versprochen, mich bald bei
ihm zu melden.« Während der Premierenfeier unterhält sich S. U.
auch mit Claus Peymann und notiert: »Dann die betrübliche
Nachricht: Peymann findet für Salzburg und den ›Theatermacher‹
[Bruscon] keinen Schauspieler, eine ziemlich unglaubliche
Sache.«
2 S. U. berichtet
in einer Notiz über die Gespräche mit Thomas Bernhard am 10.
Februar in Frankfurt:
»Wir waren um 9.00 h im Frankfurter Hof verabredet, um zu einem
Frühstück in die Klettenbergstraße zu fahren. Er bat mich aber,
zunächst noch im Frankfurter Hof zu bleiben, und erklärte mir dann
dezidiert:
1. mit Minetti wolle er nun definitiv ›aufhören‹, er hätte ihm alle
Ehre angetan, andererseits ihn auch so weit ausgebeutet, wie man
ihn für seine Zwecke ausbeuten könne. Doch jetzt sei Schluß, er
würde sich nun auf einen ganz anderen Schauspielertyp einstellen
wollen.
2. Lächerlich fände er die Haltung von Peymann. Der Grund, weswegen
er den ›Theatermacher‹ in diesem Jahr in Salzburg nicht machen
wollte, läge nur darin, daß Peymanns ›Bettkatze‹ nicht nach
Salzburg wolle, und deshalb die Ausrede, er fände keinen
Schauspieler, nachdem Minetti abgesagt habe. Auch Bernhard betonte,
daß er für diese Rolle nie Minetti vorgesehen hätte. […] Er will
von Peymann verlangen, daß die Aufführung stattfindet, und wenn
Peymann keinen Schauspieler findet, soll sich der Theaterverlag
darum kümmern. Ich habe ihm das voll und ganz bestätigt. Wir sind
so verblieben, daß ich ihn am Samstag abend in Wien anrufe. Er wird
mir dann das Ergebnis seines Gespräches mit Peymann
sagen.
Danach fuhren wir dann in die Klettenbergstraße. Small talk. Ich
dränge auch auf den Verlag. Auch hier schienen wir zunächst nichts
zu besprechen zu haben. Er wollte seine Abrechnungen
einsehen. Und als er ein Guthaben von DM 83.300.— sah,
erbat er DM 50.000.—.
Ich stellte ihm Fellinger und Frau Strausfeld vor, welche ihn für
Spanien einlud, er würde eine solche Einladung gerne schon für
März/April annehmen.
Dann plötzlich wurde er aktiv. Ich sollte an Schaffler schreiben
wegen des Rückfalls der Rechte an den autobiographischen
Erzählungen. Es müßte ein umfangreicher Brief sein, der auch
Bernhards Hochschätzung von Schaffler enthielte. Wenn es möglich
wäre, 1985 das zu bringen, wäre er sehr froh. Die Form wären unsere
marmorierten Geschenkausgaben.
Dann, was machen wir mit ›Korrektur‹? Nein, als Taschenbuch dürfe
es nicht erscheinen, er wolle keine Taschenbücher. Deswegen ist
›Korrektur‹ zwar als Taschenbuch angekündigt, wird aber nicht
erscheinen. Ich sagte ihm, daß wir eine besonders sympathische
Sonderausgabe der ›Korrektur‹ im Herbst machen würden.
›Der Theatermacher‹: er war entschieden: keine Ausgabe in den
suhrkamp taschenbüchern. Wir müssen das ändern. Er will partout
sein Stück in der BS publiziert sehen. Dies übrigens ohne Rücksicht
auf die Aufführung, d. h., wir sollen das so bringen, wie wir es
für richtig halten, und nicht, wie es Peymann in den Kram
passe.
Ja, und was mit ›Watten‹ wäre? Er habe den Eindruck, daß dieser
Text völlig vergessen sei.
Plötzlich kam die Frage auf die Textfassung des ›Theatermachers‹.
Er habe das Stück neu durchgearbeitet, diesmal seien keine Fehler
im Manuskript. Herr Fellinger wird die Herstellung überwachen. Wir
sollten wirklich den Ehrgeiz haben, diesmal ein fehlerfreies
Exemplar zu produzieren. Wir fotokopierten noch seinen Text, und
dann eilten wir zum Flughafen. Unterwegs sagte er mir, wegen des
neuen Buches im Herbst bräuchten wir wohl nicht mehr zu sprechen.
Ich betonte, daß dies der Gegenstand des Gesprächs vom 2. März
sei.«
3 Das Treffen mit
Th. B. in Wien kommt am 2. März zustande, S. U. schildert es in
seinem Reisebericht Wien, 29. Februar-3. März
1984:
»Ich kam gerade noch rechtzeitig ins Hotel, um Verbindung mit
Thomas Bernhard aufzunehmen. […] Ich
erreichte Bernhard um 19.00 Uhr, und wir verabredeten uns für den
Abend im ›Rauchfangkehrer‹.
Die Traktanden des Gesprächs: ›Theatermacher‹ in Salzburg. Am
Schluß sei es nicht mehr möglich gewesen, er hätte es nur noch
erzwingen können, und das wollte er nicht, so gab er Peymann eine
›Kunst-Entscheidung‹ an die Hand. Dieser ergriff das Nachgeben
Bernhards und sagte für 1984 ab mit dem Hinweis, daß Minetti nicht
in der Lage sei, diese Rolle zu lernen. Und das sei auch Buhre
nicht, denn beide seien in der Aufführung von ›Der Schein trügt‹ so
engagiert, daß man das auch nicht von Buhre verlangen könnte. Ich
fand das reichlich fadenscheinig. Die Wahrheit ist, daß sich
Peymann in der kommenden Zeit mehr auf seine Berufungen als auf
eine Regie konzentrieren will. Und was Peymanns Berufungen
betrifft, so ist Thomas Bernhard ganz klar: es müsse verhindert
werden, daß er an die Burg ginge, denn hier würde er unweigerlich
Schiffbruch erleiden. Also Peymann für Frankfurt!
Was die Buch-Ausgabe [des Theatermachers] betrifft, so bittet er, man möchte
ihm den Umbruch jetzt schicken (erl.-ze.) [erledigt – Zeeh], er
dankt für die Revision von Raimund Fellinger, die BS-Ausgabe soll
dann erst 1985 erscheinen. [Tatsächlich erscheint Der Theatermacher als Band 870 der Bibliothek
Suhrkamp am 28. August 1984.]
Thomas Bernhard hat mit Peymann für Dezember 1984 die Uraufführung
eines neuen Stückes vereinbart. Es heißt ›Ritter, Dene, Voss‹ und
richtet sich nach den Namen der Schauspieler Ilse Ritter, Kirsten
Dene und Gert Voss – whatever this means.
Dann sprach er ganz von sich aus über die neue Prosa-Arbeit und die
Tatsache, daß er gerne ein neues Buch im Herbst sähe, freilich, die
Fassung sei fertig, aber er müsse noch einmal durchgehen, und er
könne es erst Ende April abliefern. Damit war ich nicht zufrieden,
weil wir ja die Vertretersitzung haben und ich den Text unbedingt
kennen müßte. Der Titel lautet ›Holzfällen‹. Das Buch spiele beim
Abendessen einer dekadenten Gesellschaft, die jedoch irgendwie eine
Sehnsucht nach Anderem entwickeln möchte.
Umfang wie ›Untergeher‹. Ich rang ihm ab, daß wir das Manuskript
bis zum 14. April hierhaben sollten. […]
Und dann zum Brief von Herrn Schaffler: er hätte getan, was er tun
könnte, nämlich Herrn Schaffler eindeutig gesagt, daß er keine
Fortführung der autobiographischen Bände im Residenz Verlag wolle,
also keine Genehmigung für irgendeine Neuauflage. Das wolle Herr
Schaffler natürlich nicht zur Kenntnis nehmen. Er meinte, ich solle
mich an Herrn Schaffler wenden und Herrn Schaffler vorschlagen,
einen Rechtsberater mit dieser Frage zu beauftragen. Freilich wird
das eine schwierige Sache sein, denn die Rechtslage ist wirklich
unklar.
Das Gespräch wurde sehr konzentriert geführt, weil er um
22.00 Uhr ein Treffen mit seinem Bruder hatte. Immer wieder
versicherte er, er würde konzentriert an der Prosa ›Holzfällen‹
arbeiten und wolle mit nichts anderem mehr befaßt sein. Dann würde
er gern eine Reise machen, z. B. nach Rom. Ich lud ihn für das
Wochenende 7.-9. April ein: Treffen in Rom, Übergabe des
Manuskriptes ›Holzfällen‹ […]. Die Aussicht Rom vergnügte ihn sehr.
Wir gingen dann noch zum Treffpunkt mit dem Bruder, einem Arzt,
einem sehr sympathischen Menschen. Wir blieben dann doch noch eine
Stunde im ›Luger Eck‹ bei Rotwein sitzen und sprachen über Gott und
die Welt.
Am nächsten Morgen rief ich ihn um 9.00 Uhr an. […] Er bedankte
sich für den Abend, freute sich über die Aussicht Rom und erzählte
mir das Folgende: er habe am Morgen seiner Tante und seinem Bruder
von seiner neuen Prosa-Arbeit erzählt; er habe keinen Titel
genannt. Dann aber habe die Tante gesagt, sie hätte in der Nacht
ein Buch in der Hand gehalten, das den Titel ›Holzfällen‹
gehabt habe.«