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Ohlsdorf
15. 12. 70
Lieber Doktor Unseld,
durch den Tod meines Onkels in der vergangenen Woche, ist es mir nicht möglich gewesen, nach München zu kommen, der Versuch, zu telefonieren, schlug fehl.1
Sicher machen Sie aber bald wieder einmal eine Reise in meine Nähe und dann könnten wir uns treffen.
Wann glauben Sie, werde ich die Fahnen von »Midland« bekommen können?
Ich arbeite gut und es steht alles am besten.
Herzlich Ihr
Thomas B.
P. S.: In der »Frankfurter Zeitung« habe ich eine Notiz von Ihnen betreffend die Amerikanerin Barnes gelesen, die so ausgezeichnet ist wie die Djuna Barnes selbst gross; hoffentlich vertragen Sie dieses Lob, wie es mir schwer fällt. (Es wird lange keins mehr folgen!!!)2
1 Am 8. Dezember 1970 stirbt Rudolf Freumbichler, der 1910 geborene jüngere Bruder der Mutter von Th. B., die Beisetzung findet am 15. Dezember in Salzburg statt.
2 S. U. reagiert in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 7. Dezember 1970 mit dem Artikel Eine Ehrengabe als Rente auf einen von Rolf Hochhuth in derselben Zeitung veröffentlichten Artikel (Die abgeschriebenen Schriftsteller, 25. November 1970), in dem Hochhuth die These vertritt, die »alten Schriftsteller« würden von den Verlagen unterdrückt, und berichtet zu Beginn von einem Besuch bei Djuna Barnes: »Vor wenigen Wochen begegnete ich in New York Djuna Barnes; sie warnte mich vor ihrer Behausung: ›I live here like a rat in a hell.‹ An der Türe von Patchin Place 5 gibt es keine Namensschilder und keine Glocke. Djuna Barnes wohnt im ersten Stock, den sie nur verläßt, um einmal in der Woche ihr Hauptnahrungsmittel einzukaufen: Ice-Cream (sonst trinkt sie Tee) oder um das Krankenhaus aufzusuchen, unabweisbar geplagt von Leukämie, Arthritis, Asthma. Der einzige Raum dieser Wohnung besteht fast nur aus Büchern, einem mit Papieren überfüllten Tisch, einem Bett; ein Mininebenraum, eine Kochnische, in der man sich nicht umdrehen kann. Die Fenster schließen nicht dicht, das Haus scheint jahrzehntelang keinen Handwerker gesehen zu haben, Reparaturen finden nicht statt. Der Hauswirt kann sie nach dem New Yorker Mietgesetz nicht kündigen, solange sie lebt und solange sie 49 Dollar Miete bezahlt, eine gewiß bescheidene Summe für ein ›Appartement‹ in New York, aber 49 Dollar sind 49 Dollar, und Djuna Barnes, Amerikas größte lebende Dichterin, verdient diese 49 Dollar nicht.«