[467; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
8. Juni 1984
Lieber Thomas Bernhard,
die Suhrkamp-Vorschau für das zweite Halbjahr ist jetzt erschienen. Ich schicke Ihnen mit gleicher Post ein Exemplar zu. Wir haben auf Seite 3 »Holzfällen« angekündigt. Der Text ist Ihnen bekannt.1 Ich hoffe auf eine gute Wirkung.
Ich bin sicher, daß Ihnen auch das Gegenüber auf Seite 2, zumindest photographisch, gefällt. Und dann beachten Sie auch bitte auf Seite 25 die Ankündigung der Sonderausgabe »Korrektur«, auf Seite 36 die Ankündigung »Beton« in der Bibliothek Suhrkamp und auf Seite 28 »Der Schein trügt« im »Spectaculum«.2
Herzliche Grüße
Ihr
[Siegfried Unseld]
1 Am 10. Mai treffen sich S. U. und Th. B. erneut in Wien, im Reisebericht Wien—Zürich, 9.-11. Mai 1984 heißt es:
»Thomas Bernhard.
Am Tage vorher hatte er seinen ›Lebensmenschen‹, Frau Hede Stavianicek, begraben. Eine Anteilnahme lehnte er ab, aber in den Stunden unseres Zusammenseins kam er immer wieder auf ihr Sterben, den Tod und was das nun alles für ihn bedeutet, zurück.
Honorarübergabe. Ich las ihm den Ankündigungstext ›Holzfällen‹ vor. Durchsicht der Korrekturfahnen.
Er hat folgenden Wunsch:
Keine Anzeigen am Schluß des Bandes.
Auf dem Titelblatt die sogenannte Gattungsbezeichnung ›Eine Erregung‹ größer.
Voltaire in aufrechter Schrift, das Motto jedoch kursiv.
Für den Umschlag hatte er eine genaue Vorstellung, die er auch aufzeichnete: Schwarzer Umschlag, weiße Schrift, oben links ausgerückt Thomas Bernhard, in der Mitte ganz klein, möglichst kursiv, Holzfällen.
Unten Suhrkamp.
Sehr befriedigt zeigte er sich über die Vereinheitlichungen der Abschrift und über die angekreuzten Fragen. Das sei für ihn eine große Arbeitserleichterung.
Dann das heikle Thema justiziabler Stellen. Er zeigte sich hier großartig. Wenn jene von mir inkriminierte Stelle seinem Buch schade, so solle sie dies doch nicht und er sei bereit zur Änderung. Er bestätigte, daß er diese drei Seiten [über Friederike Mayröcker und Ernst Jandl: Im Roman ist, Werke 7, S. 156-162, von Anna Schreker und ihrem Lebensgefährten die Rede] im nachhinein geschrieben habe und daß hier vielleicht sein Zorn mit ihm durchgegangen sei. Er versteht meine Haltung, daß das Ganze unter dem Niveau seiner üblichen Fairness ist. Warten wir nun ab, was er machen wird.« Am 8. Juli sendet Th. B. die von ihm stark korrigierten Fahnen an den Verlag zurück.2 Auf S. 2 der Programmvorschau für das zweite Halbjahr 1984 ist Michel, sag ich angekündigt, begleitet von einem Foto der Autorin Ulla Berkéwicz. Die Sonderausgabe von Korrektur erscheint im September 1984, Beton (BS 857) am 29. Januar 1985, Spectaculum, Band 39, am 16. Oktober 1984.
Am 27. Juli berichtet Burgel Zeeh in einer Notiz über ein Telefonat mit Th. B.: »Dann sagte er mir, er habe das Bedürfnis, sehr bald den Herrn Unseld zu treffen, er wäre auch bereit, nach Frankfurt zu kommen. Denn ›Ritter, Dene, Voss‹ sei jetzt fertig, wahrscheinlich wird das Stück im Dezember / Januar in Bochum aufgeführt, er habe sich gedacht, ob man nicht den ›Theatermacher‹ lasse und dann lieber dieses Stück bringe oder beide oder wie. Jedenfalls möchte er das sehr gerne und sehr bald weghaben, aber er möchte es wohl Herrn Dr. Unseld selbst übergeben.« Zu der gewünschten Begegnung kommt es am 20./21. August in Frankfurt. In einer Notiz von S. U. heißt es dazu:
»Er war in guter Form, wünschte sich ein Abendessen. Wir blieben bis um 23 Uhr im Frankfurter Hof.
Er war sehr erfreut über ›Holzfällen‹, vom Umschlag war er ganz entzückt, und er erleichterte auch meine Sorge im Hinblick auf den ›Theatermacher‹: er hatte ja angerufen und wollte die Ausgabe verschieben, aber das war nicht mehr möglich. Jetzt war er durchaus auch froh.
Er übergab mir sein neues Stück ›Ritter, Dene, Voss‹. Ich brachte es noch am Abend Herrn Fellinger, der es las; ich las es am nächsten Morgen, und ich muß sagen: ich bin von diesem Stück, das in gewisser Weise eine Analogie zu Dürers ›Ritter, Tod und Teufel‹ ist, sehr angetan. Er wünscht eine baldige Herausgabe in der BS, möglichst erscheinend zur Premiere, die im Dezember 84 oder Januar 85 stattfindet.
Dann hat er zu Minettis 80. Geburtstag Ende Januar 1985 noch einmal ein Manuskript geschrieben: ›Einfach kompliziert. Drei Auftritte für Minetti‹. Das Manuskript bringt er mir nach Venedig. Wir werden zum Geburtstag von Minetti ein Exemplar fertig machen, das Buch selber aber dann im März ausliefern.
Er hat drei Projekte fertig bzw. in der Arbeit:
1.Prosa ›Quarry‹, 60 Seiten. Eine Erzählung.
2.›Goethe schtirbt. Fünf Erzählungen‹. ca. 60 Seiten.
3.Das große Projekt ›Auslöschung‹. Dies sei sein bisher umfangreichstes Buch, es umfasse mindestens 300 Seiten, aber er wisse nicht, ob er noch zum Text stehen könnte. Damals habe er es geschrieben mit einer Maschine, der ein Buchstabe fehle, und beim Schreiben habe er dann die ganze Maschine ruiniert.
Als er von seinem Guthaben von DM 88.000.— hörte, bat er um DM 40.000.—.
Wir diskutierten ja früher eine Lesung von Minetti aus ›Wittgensteins Neffe‹ in Wien. Er regt hier an, wir möchten die Tage des Gastspiels von ›Der Schein trügt‹ in Wien benützen und eine solche Lesung arrangieren: wahrscheinlich wird dieses Gastspiel vom 11.-14. November im Akademietheater stattfinden.«