[2; Anschrift: Wien1]
Frankfurt am Main
7. Oktober 1964
Verehrter Herr Bernhard,
Frau Dr. Botond hat mir von ihrem Gespräch mit Ihnen berichtet. Ich hoffe sehr, daß Sie nach diesem Gespräch doch in dem einen Punkt beruhigt sind und daß Sie den kursierenden Gerüchten keinen Glauben schenken, sondern doch ein wenig dem vertrauen, was wir nun in einer neuen und, wie ich hoffe, intensiven Weise in unserem Verlag unternehmen wollen. Mir liegt viel daran, mit Ihnen gemeinsam diesen neuen Weg zu gehen.2
Frau Dr. Botond berichtete mir auch, daß Sie nun für eine längere Zeit nach Jugoslawien reisen werden.3 Ich würde vorschlagen, daß wir uns, sobald Sie zurückgekehrt sind, treffen; ich nehme an, daß dies im November oder Dezember möglich sein wird.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und hoffe auf unser Gespräch.
Ihr
Siegfried Unseld
1 Die Briefe von S. U. an Th. B. bis 1968 sind, wenn nicht anders vermerkt, auf Briefpapier des Insel Verlags geschrieben. Erfolgt die Wiedergabe eines Briefes anhand des im Verlag aufbewahrten Durchschlags (ablesbar an der in eckige Klammern gesetzten Unterschrift von S. U.), beruht diese Annahme auf einer Konjektur der Herausgeber, die sich auf S. U.s strikte Trennung von Angelegenheiten des Insel und des Suhrkamp Verlags stützt.
2 Mit Wirkung zum 1. Januar 1963 erwerben S. U., Balthasar und Peter Reinhart (die drei Gesellschafter des Suhrkamp Verlags) sowie Rudolf Hirsch den Insel Verlag von Jutta von Hesler, der Tochter des Gründers Anton Kippenberg. Rudolf Hirsch und S. U. sind die beiden Geschäftsführer des Verlags. Für Th. B. ist dieser Besitzerwechsel von Belang, da sein fünftes Buch, der erste Roman, Frost, am 29. Mai 1963 dort erscheint und für den Herbst 1964 die Publikation von Amras vorgesehen ist. Als Rudolf Hirsch 1964 aus der Leitung des Insel Verlags und als Gesellschafter ausscheidet, schreibt seine Lektorin Anneliese Botond am 13. August 1964 von ihrer Frankfurter Privatadresse an Th. B.: »Einerseits habe ich Schweigepflicht, andererseits möchte ich nicht, dass Sie es von anderer Seite erfahren; und ausserdem ist es für Sie doch wichtig, zu wissen, was in Ihrem Verlag vorgeht. Es ist dies: Hirsch wird den Verlag verlassen. Ich kann Ihnen hier unmöglich auseinandersetzen, wie es dazu gekommen ist, die Geschichte ist labyrinthisch und kompliziert und im Grunde ganz einfach. Viele haben ja den Bruch zwischen Unseld und Hirsch vorausgesagt: nun ist er eingetreten. Ich will Ihnen auch nicht alle die Vermutungen, Hypothesen, Spekulationen erzählen, die sich sofort an diese Tatsache geheftet haben. Sicher ist im Augenblick dies: Hirsch wird noch bis Ende des Jahres im Amt bleiben, und der Verlag bleibt bestehen, d. h. er wird nicht von Suhrkamp verschlungen, wie wir ganz am Anfang befürchtet haben. [. . .] Mein Rat: vorläufig nichts zu unternehmen, sich keine Sorgen zu machen. ›Amras‹ wird im September erscheinen [. . .], als ob nichts geschehen wäre. Über alles andere können wir uns in Ruhe während der Messe unterhalten – in fünf Wochen.« Amras wird am 24. September 1964 ausgeliefert. Th. B. ist deshalb während der Buchmesse (17.-22. September) in Frankfurt.
3 Th. B. hält sich mit Hedwig Stavianicek in der Zeit vom 12. bis zum 28. Oktober 1964 in Lovran auf.