[294; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
31. Mai 1974
Lieber Thomas Bernhard,
ich möchte Ihnen noch einmal wegen des Termins der »Korrektur« schreiben. Sicher, die beiden Uraufführungen neuer Stücke folgen rasch und bedeuten eine Kumulierung, doch was gewinnen wir bei einem Verschieben ins Jahr 75? Im Mai haben wir dann an der Burg die neue Uraufführung, und also würden Erscheinungsdaten wieder zusammenfallen. Und denken Sie doch bitte auch an Ihren Plan »Erinnern« für die Bibliothek Suhrkamp, den wir spätestens 1975 realisieren sollten.
Doch noch einmal zur Situation des Bernhard-Jahres 1974. Bitte, trauen Sie meiner Erfahrung. Die Rezeption eines Romanes erfolgt unter ganz anderen Gesichtspunkten als die eines Theaterstückes. Die Kritiker sind andere, und der Buchhandel reagiert auf einen Roman anders, umfangreicher, interessierter als auf Ausgaben von Stücken, selbst wenn diese, was doch der beste Platz ist, in der Bibliothek Suhrkamp erscheinen. Das sind wirklich ganz verschiedene Sachen.
Und ich habe noch ein ganz anderes Argument: Übelwollende könnten Ihnen vorwerfen, Sie verengten Ihr Haupt-Thema für die Bühne. Der Roman »Korrektur« zeigt den großen epischen Gegenentwurf. Ich kann mir vorstellen, daß Sie am Ende dieses Jahres 74 mit den beiden Stücken und mit »Korrektur« als erster großer bedeutender Autor des deutschsprachigen Raums angesehen werden. Das ist das eine.
Und das andere: wir haben jetzt die Möglichkeit, daraus auch einen ökonomischen Erfolg zu machen und die Bücher sehr gut zu verkaufen. Auch das müssen wir ausnützen. Das ist sicherlich weniger Ihr Interesse als das meine, aber so ganz sind unsere Interessen in diesem Punkt ja auch nicht getrennt.
Ich schicke Ihnen in der Anlage das Verzeichnis Neue Bücher 2. Halbjahr 74. Ich schicke es Ihnen mit Zögern und Vorbehalt, weil ich ja weiß, daß Sie auf manche Publikationen des Verlages allergisch reagieren. Aber, lieber Thomas Bernhard, Sie sind hier an sichtbarer und erster Stelle genannt. Wenn das Buch in diesem Halbjahr nicht erscheint, so ist das ein wirklicher Schaden für Sie als Autor (man würde Sie für nicht mehr potent genug halten, das abschließen zu können) und für uns als Verlag, der ein Buch anzeigt – und es an hervorragender Stelle als bedeutendstes Buch anzeigt —, das dann nicht erscheint.1
Ich möchte Sie auch noch einmal an unsere finanziellen Vereinbarungen erinnern. Diese Vereinbarungen sehen vor, daß dem Verlag zur Endabrechnung die Erlöse aus der »Korrektur« zur Verfügung stehen müssen. Wenn »Korrektur« 1974 nicht erscheint, hängt unsere ganze finanzielle Vereinbarung in der Luft. Und wir kommen nicht zu jenem Schlußstrich, den wir uns doch beide wirklich vorgenommen haben.
Lieber Thomas Bernhard, jenseits alles Ökonomischen und Taktischen: bitte, vertrauen Sie in dieser Sache meinem Urteil. Es ist absolut richtig, wenn »Korrektur« im 2. Halbjahr erscheint und im Herbst vorliegen wird. Ich bitte Sie dringlich, das noch einmal zu bedenken.
Mit herzlichen Grüßen
— wie immer —
Ihr
Siegfried Unseld
1 In der Programmvorschau des Suhrkamp Verlags für das zweite Halbjahr 1974 ist Korrektur auf S. 2 angekündigt.