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Ohlsdorf
12. 9. 84
Lieber Doktor Unseld,
nach einem Brief von Dr. Perner, den ich gerade gelesen habe, erscheint es mir richtig, Ihnen den beigelegten von mir an Sie, zu schicken. Nun haben Sie das einmal gewünschte Dokument, dass die Auersberger nicht die Lampersberger sind, in Händen. Es ist ja diese Tatsache auch die einzig richtige.
Ich fliege Dienstag nach Bochum, wo ich einmal übernachte. In Frankfurt unterbreche ich zwischen 11.45 h und 13 h auf dem Flugplatz. Vielleicht haben Sie eine halbe Stunde Zeit.1
Herzlich
Thomas B.
Möglicherweise ist der Dr. Perner als gemeinsamer Anwalt, der jetzt
schon »vertraut« ist mit der Sache, gut. Ich entscheide mich aber
erst im letzten Moment.2
[Anlage; Brief von Th. B. an S. U.]
Ohlsdorf
12. 9. 84
Lieber Doktor Unseld,
die Beschlagnahme meines »Holzfällen« durch den österreichischen Staatsapparat, kann ich nur als Ungeheuerlichkeit bezeichnen, die tatsächlich in der Nachkriegsgeschichte dieses Landes beispiellos ist und mir grössten Schaden zufügt.
Bis heute habe ich über alle mit dieser Beschlagnahme in Zusammenhang stehenden gerichtlichen Vorgänge und Verfügungen lediglich aus den Zeitungen und aus dem Rundfunk erfahren, nicht ein einziges Wort von seiten eines österreichischen Gerichts. In einem Wiener Journal musste ich gestern lesen, dass von Herrn Lampersberg gegen mich Anklage erhoben und eine erste Hauptverhandlung gegen mich für den 23. Oktober anberaumt worden sei. Nachdem schon über zwei Wochen fortwährend von einer Anklage gegen mich die Rede ist, wie ich wiederum nur den Zeitungen entnehme, glaubte ich, wenigstens an meinem Hauptwohnsitz in Ohlsdorf irgendein gerichtliches Wort vorzufinden. Aber wie gesagt, hat mich bis heute kein Gerichtswort erreicht. Wie Herr Dr. Perner mir heute schreibt, konnte eine Gerichtsverfügung an mich nicht zugestellt werden, weil das Gericht »meine genauen Anschriften nicht zur Verfügung hat«. In einem Staat, in dem mehr oder weniger alle Daten bekannt und gespeichert sind, ist der Umstand, dass man die Adresse eines seiner bekanntesten Schriftsteller wochenlang nicht finden kann, mehr als merkwürdig.
Zu einer möglichen Klage des Herrn Lampersberg muss ich in aller Deutlichkeit und mit Entschiedenheit sagen, dass das Ehepaar Auersberger in meinem »Holzfällen« mit dem Ehepaar Lampersberger (ich habe das Ehepaar Lampersberg immer nur als Lampersberger gekannt!) überhaupt und also in gar keinem Fall identisch ist. Mein Buch ist ein Kunstwerk, wenn Sie wollen, ein sogenanntes »Sittenbild« und ich habe darin nicht über die Eheleute Lampersberger sondern über die Eheleute Auersberger geschrieben. Ein Buch über die Eheleute Lampersberger wäre ein vollkommen anderes und ich hatte und habe nicht die geringste Absicht, ein solches Buch zu schreiben. Wie ich selbst mich in Büchern von Dostojewski oder von Tolstoi erkenne, mögen sich Andere in meinen Büchern erkennen, aber das ist und kann nicht Gegenstand einer gerichtlichen Klage sein.
Ich bin in meinem Leben nicht oft auf eine solche furchtbare Weise deprimiert gewesen wie in dem Augenblick, in welchem ich mit eigenen Augen habe mitanschauen müssen, wie meine »Holzfällen«-Bücher aus den Auslagen der Wiener Buchhandlungen entfernt wurden. Mit Polizeigewalt entfernt zu werden, ist tatsächlich eine Fürchterlichkeit; wenn die Polizei Bücher aus den Auslagen räumt und Buchhändler und Leser mit ihrem rücksichtslosen Auftreten einschüchtert, lässt das nichts Gutes ahnen. In diesen Staat kann ich naturgemäß kein Vertrauen mehr setzen. Ganz abgesehen von dem materiellen Schaden, der mir durch die gerichtliche Massnahme zugefügt worden ist, bin ich durch diese brutale Massnahme um eine entsetzliche Erfahrung diesen meinen Staat betreffend, reicher. Die Urheber dieser Massnahme, die namentlich weder direkt noch indirekt in meinem Buch vorkommen und in meinem Buche auch gar nichts zu suchen hätten, haben tatsächlich völlig unverantwortlich und so, als hätten sie, wie gesagt werden muss, einen Skandal gesucht, gehandelt.
»Holzfällen« ist mein Versuch, in meiner Kunst weiter zu kommen, nichts anderes. Die gerichtliche Massnahme und der daraus urplötzlich entstandene Skandal, haben ihm nur geschadet.
Mit herzlichen Grüssen Ihr
Thomas Bernhard
1 Die Begegnung kommt nicht zustande.
2 In dem Brief vom 10. September 1984 setzt Hans Perner Th. B. – unter Beilage u. a. des »Gutachtens« von Hans Haider zu Holzfällen und der Einstweiligen Verfügung – über den Stand der gerichtlichen Auseinandersetzung um Holzfällen in Kenntnis. Er habe von S. U. die Vertretungsvollmacht erhalten und frage an, ob Th. B. ihm diese ebenfalls erteilen wolle: »Ich werde auf jeden Fall für den Suhrkamp Verlag eine Beschwerde an das Oberlandesgericht Wien einbringen, doch kann ich dies erst dann tun, wenn ich weiß, wie Sie sich zu den gerichtlichen Schritten des Herrn Lampersberg stellen.«