[497; Anschrift: Wien]
Frankfurt am Main
28. August 1986
Lieber Thomas,
wir sind seinerzeit so verblieben, daß »Holzfällen« in der Bibliothek Suhrkamp erscheinen wird; die Auslieferung ist für den Oktober vorgesehen. Anfang des nächsten Jahres möchten wir sehr gerne den »Untergeher« im Rahmen der suhrkamp taschenbücher bringen. Ich kenne Ihren Vorbehalt gegen Taschenbücher, aber hier sollten wir doch durch Vorbehalt und Ausnahme die Regel bestätigen. Sind Sie einverstanden?1
Es tut mir sehr leid, daß mein Ohr einen Strich durch die Wien-Reise macht. Ich hoffe sehr, daß auch so alles gut gelingt.2
Herzliche Grüße
Ihr
Siegfried Unseld
1 Holzfällen erscheint am 26. September 1986 als Band 927 der Bibliothek Suhrkamp. Der Untergeher erscheint 1986 (am 28. Januar) in der Bibliothek Suhrkamp (Band 899).
2 Ein Hörsturz, der S. U. zur stationären Behandlung in der Frankfurter Universitätsklinik zwischen dem 20. und 28. August zwingt, verhindert seinen Plan, zu den Aufführungen zweier Stücke von Th. B. nach Wien zu reisen, mit denen Claus Peymann seine Zeit als Direktor des Burgtheaters beginnt. Am 1. September 1986 hat im großen Haus am Ring Der Theatermacher Premiere, am 4. September schließlich Ritter, Dene, Voss am Akademietheater. Th. B. berichtet darüber Burgel Zeeh in einem Telefonat am 8. September; in ihrer Telefonnotiz heißt es: »Wien sei ein großer Erfolg, so was, wie im Akademie-Theater, habe es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben.«
Kurz zuvor hat S. U. in Salzburg die Uraufführung von Ritter, Dene, Voss besucht und sich zwischen dem 14. und 18. August mehrmals mit Th. B. getroffen. In der Chronik heißt es dazu:
»Gespräche mit Thomas Bernhard. Es ist bewundernswert, wie dieser Schriftsteller innerlich sich entfalten kann, wie er freier, souveräner wird. Wir trafen uns in Salzburg im Hotel Bristol, neben dem Landestheater, wo Bernhard eine Durchlaufprobe angesehen hatte. Er war voll zufrieden, ja, schon so etwas wie begeistert. Freilich, die Aufführung ohne die Pause dauerte 3 \2 Stunden. Hält das Stück diese Zeit stand? […]
Burgel Zeeh hatte am Sonntag ein Voraus-Exemplar der ›Auslöschung‹ mitgebracht. Ich bestellte [im Hotel Fuschl] Champagner und übergab Thomas Bernhard dieses Buch: ›Es ist Ihre beste Prosa.‹ Er: ›Ja, vielleicht, wie damals «Amras».‹ Er glitt zufrieden über den Umschlag, der wirklich etwas Selbstverständliches hat, und er strich fast zärtlich über die Seiten. Als wir ihn in Ohlsdorf besuchten, lag das Buch auf dem neben Stühlen einzigen Mobiliar, einer Art Sekretär. Hier nahm sich das Buch mit dem dunkelgrünen Umschlag und der zitronengelben Schrift ganz bernhardisch aus. Alles im Zimmer war auf diese Farben eingestellt, und das Buch lag wie das Buch der Bücher, die Bibel, prominent da. So feiert dieser Autor sein Buch. […]
Abends die Uraufführung ›Ritter, Dene, Voss‹, gespielt von Ritter, Dene, Voss. Für mich wieder ein faszinierendes Erlebnis: zum ersten Mal seit langer Zeit ein Theater, das echtes Theater war, ein Text brillant, witzig und brillant […] gespielt. Keine Sekunde irgendein Gefühl einer Länge und dies mit Pause an die vier Stunden. Und es ist einfach und kompliziert, es ist kein Stück über die Schauspieler Ritter, Dene, Voss, sondern eines über Wittgenstein, das Genie Bernhard ist von diesem Genie einfach ergriffen, im Sinne von Angezogen- und Abgestoßensein. Weil er aber in Bochum diese drei Schauspieler gesehen hat und sie ihm imponiert haben, schrieb er sein Stück auf diese drei Personen zu, aber es ist auch nicht so sehr ein Stück über Ludwig Wittgenstein, wie Bernhard ihn sieht, sondern ein Stück von Bernhard über Bernhard. Einfach kompliziert.
Nach der Aufführung telefonierte ich mit ihm in Ohlsdorf. Er hat mir zwar gesagt, er sei im Bett und ginge nicht ans Telefon, aber er war sofort da, und er war glücklich, als ich ihm von der höchst gelungenen Aufführung und von dem immensen Beifall des Publikums erzählen konnte.«