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Ohlsdorf
5. 5. 70
Lieber Doktor Unseld,
das Manus geht zur gleichen Zeit ab an Sie wie diese Zeilen, vielleicht verfluchen Sie mich, ich kann es nicht ändern.
Die erste Juniwoche1 bin ich in Hamburg, da wäre es gut, wenn wir miteinander redeten, wann genau ich die Vorlesung im Theater habe, weiss ich nicht. Augenblicklich schreibe ich an dem neuen Theaterstück und was das alte, den »Boris« betrifft, danke ich Ihnen und vor allem Burgel Geisler für die rasche Übersendung des gut zum »Boris« passenden roten Bandes.2
Ende Juni weiss ich, wissen wir, ob die Komödie ruiniert oder lebendig gemacht worden ist.
Sie sagten zweimal, ich könne nach Israel fahren, eine solche Reise wär mir recht, gleich wann.
Bitte grüssen Sie Herrn Busch von mir herzlich, dann auch Herrn Beckermann, der mir kurz geschrieben hat, den ich aber nicht kenne,3 und vielleicht denken auch Sie, ich sollte einmal auf einen Tag in Frankfurt vorbei- und mir das neue Verlagshaus anschauen, vielleicht.
Herzlich Ihr
Thomas B.
1 Die Worte »erste Juniwoche« sind mit rotem Kugelschreiber unterstrichen und am Rand des Briefes durch zwei Striche markiert.
2 Ein Fest für Boris erscheint am 5. Mai 1970 als Band 440 der edition suhrkamp. Burgel Geisler sendet ein Vorausexemplar an Th. B. nach Ohlsdorf mit einem Begleitbrief. »[. . .] ein schönes rotes ›Fest für Boris‹ liegt mit dem ersten Exemplar auf dem Tisch, ich schicke es Ihnen zum Wochenende und bevor Herr Unseld Anfang nächster Woche aus Amerika, wohin es ihn geschäftlich gezogen hat, zurückkommt.«
3 Sowohl Günther Busch als auch Thomas Beckermann korrespondieren im April mit Th. B. über die definitive Auswahl der Beiträge zu Über Thomas Bernhard. Beckermann fragt am 30. April 1970 telegrafisch nach dem Manuskript von Kalkwerk. Am 13. April 1970 übersendet Thomas Beckermann Th. B. die Inhaltsübersicht für den von Anneliese Botond herausgegebenen Band Über Thomas Bernhard. Darauf erhält er am 6. Mai 1970 die Antwort: »[. . .] zwei Fragen: in der Aufstellung der Beiträger für den es-Band fehlt der ausgezeichnete Aufsatz von Hans Höller, den selbst Frau Botond seinerzeit als hervorragend bezeichnet hat. Warum? Auf der Liste steht ein Artikel von Herrn Schonauer, der von der billigsten Machart und zum Großteil wortwörtlich von einer Blöckerkritik abgeschrieben und damals in der ›Neuen Rundschau‹ erschienen ist [Franz Schonauer: Thomas Bernhard »Verstörung«]. Warum?« Am 16. Mai 1970 erklärt Th. B. Thomas Beckermann: »[. . .] die Wirkung der ›Rede‹ vor dem Minister [anläßlich der Verleihung des Staatspreises 1968; siehe Brief 43] wird durch die sogenannte ›Morgenandacht‹ aufgehoben, die ›Morgenandacht‹ ist also auf jeden Fall wegzulassen, das kann mit Vergnügen geschehen, weil es sich um ein stilistisch völlig missglücktes Stück handelt [Erstdruck in Wort in der Zeit, H. 1, 1966, S. 11-13].« Am 23. Mai schickt Th. B. eine von ihm selbst für den Band erstellte Vita (siehe Über Thomas Bernhard, S. 142f.) mit dem Kommentar: »Die meisten Beiträge sind mühelos und dumm, aber das ist nicht zu ändern, ebensowenig kann ich mich beherrschen. Vor allem hätte ich auf die Dummheit des Herrn Prießnitz verzichtet.« Nach Erhalt des ersten Exemplars konstatiert er am 5. Juli: »Lieber Herr Beckermann, gegen solche sich tödlich gegen das Opfer wendende Scherze wie den ›Über‹-Band, der gestern hier angekommen ist, heisst es sich mit grosser Raffinesse aus aller Bedrückung wehren.«