[448; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
10. August 1982
Lieber Thomas Bernhard,
der Schein trügt nicht: es war eines der angenehmsten Mittagessen, das ich genießen durfte. Ich möchte mich sehr für meine Unpünktlichkeit, mit der ich aus der Verlegerrolle fiel, entschuldigen, aber die Verhältnisse, sie waren eben anders. Ich mußte viel erzählen und habe es gerne getan, und wir haben manches erinnert und manches nicht gesprochen.
So zum Beispiel, daß Piper uns absolut nicht die Genehmigung geben möchte für eine Auswahl der Gedichte von Ingeborg Bachmann durch Sie.1
Dann freue ich mich, daß wir im Oktober das Manuskript »Der Schein trügt« erhalten.
Und als guter Termin für Ludwigsburg bietet sich Sonntag, der 5. September, an. Es wäre ein schönes Wiedersehen, und Sie würden von drei Leuten auf Händen getragen.2
Aus dem »Weißen Programm« des Suhrkamp Verlages habe ich nun den Band Bernhard, »Stücke in einem Band«, herausgenommen; etwas schmerzlich war mir die Operation, aber ich sehe Ihre Idiosynkrasie gegen solches Gesammeltes, und es liegt mir mehr daran, Ihre Freude als Ihren Ärger zu erregen. Wenn Sie im nachhinein also so definitiv bei der Absage bleiben wollen, nehmen wir statt den »Stücken« dann »Frost« in das Programm auf. In jedem Fall möchte ich in diesem Programm einen Titel von Ihnen bringen.3
Am 5. September wird übrigens im ZDF die Aufzeichnung von »Über allen Gipfeln ist Ruh« ausgestrahlt werden. Wir könnten ja die Hälfte live und die Hälfte im Fernsehen sehen!
Wenn dieser 5. September sich realisiert, dann sollten wir es vielleicht so machen, daß Sie nach Frankfurt fliegen und wir dann eine Gelegenheit zum Gespräch haben und dann gemeinsam nach Ludwigsburg fahren. Es wäre schön, wenn Sie bald deshalb eine Entscheidung treffen könnten, damit die Ihnen zufliegenden Damen sich darauf einrichten können.
Die Korrekturen für »Wittgensteins Neffe« sind gut in Frankfurt angekommen, sie werden sorgsam ausgeführt.
Herzliche Grüße
Ihr
Siegfried Unseld
1 Am 22. Mai 1982 schreibt Th. B. an Burgel Zeeh: »Was die angeregten Lavantgedichte betrifft, so würde ich zuerst viel lieber solche der Ingeborg Bachmann ›zusammenstellen‹, die in der BS auch noch nicht erschienen sind. Das wäre die bessere Reihung der zwei Kärntner Genien.« Eine Auswahl von Gedichten der Christine Lavant für die Bibliothek Suhrkamp nimmt Th. B. 1987 vor (siehe Anm. 4 zu Brief 503).
2 In Ludwigsburg (im Rahmen der Ludwigsburger Schloßfestspiele als Gastspiel des Schauspielhauses Bochum) wird nach der Premiere am 25. Juli 1982 Über allen Gipfeln ist Ruh gespielt. Regie: Alfred Kirchner; Moritz Meister: Traugott Buhre; Frau Meister: Anneliese Römer; der Verleger: Wolfgang Höper.
3 In der Chronik notiert S. U. über den Besuch bei Th. B. in Ohlsdorf am 9. August: »Thomas Bernhard war sehr freundlich, wie immer. Mein Angebot, seine ›Gesammelten Stücke‹ zu verlegen, lehnte er ab, schon die ›Erzählungen‹ [siehe Briefe 385 u. 386] wollte er nicht. Als ich dann in Frankfurt war, rief er an und bereute seine Ablehnung und hielt die ›Gesammelten Stücke‹ doch für eine interessante Sache.« Die Stücke 1969-1981 erscheinen im Frühjahr 1983 im Rahmen des »Weißen Programms«, einem Halbjahresprogramm des Verlags ohne Novitäten.