[388; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
3. September 1979
Lieber Thomas,
nochmals mein Kompliment für die »Billigesser«; ich habe die Erzählung jetzt zweimal gelesen, um ganz hinter die Wiener Kreis-Schliche zu kommen. Wir werden ein bedeutendes Echo auf diese Erzählung erhalten.1
Ich ließ einige Seiten des Manuskripts neu abtippen, weil die immer unkundiger werdenden Setzer sich in den Korrekturen nicht zurechtgefunden hätten. Aber es gibt noch einige Stellen, die auch mir undeutlich sind.
Ich mache es am besten so, daß ich diese Stellen auf einem gesonderten Blatt notiere. Da ich nicht weiß, ob Sie ein korrigiertes Manuskript bei sich haben, schreibe ich die Stellen jeweils ausführlich ab.
Es war sehr schön, daß wir uns neulich gesehen haben, wenn das Gespräch vielleicht doch etwas zu kurz kam.
Herzliche Grüße
Ihr
Siegfried U.
[Anlage; Anmerkungen zu Die Billigesser]
Seite 9, 4. Zeile von unten:
. . . er hatte Angst gehabt, »daß ihn die Leute in der WÖK sofort als Krüppel erkennen und anstarren und lange Zeit nicht mehr aus ihren . . . . . . Augen lassen«. Sie haben handschriftlich diese Augen mit einem Eigenschaftswort versehen, das läßt sich aber leider nicht entziffern. Sind es perverse Augen?
Wenn ich gerade WÖK diktiere: Ich würde vorschlagen, man sollte das nicht mit großen Buchstaben schreiben, sondern das ö mit einem Kleinbuchstaben, also WöK. Was meinen Sie?
Seite 2
»auf ein anderes, möglicherweise sogar entgegengesetztes Thema gekommen wäre, auf ein vollkommen anderes, so er, als auf das er gekommen sei, . . .«
Müßte es nicht heißen: »als das auf das er gekommen sei?«
Seite 10, Zeile 16
». . . und hätten ihn wie selbstverständlich auf den besten Platz an ihrem Tisch setzen lassen.« Sollte man nach »selbstverständlich« nicht ein »sich« einfügen?
Seite 10, Zeile 26
»während er mit beiden Händen den Versuch gemacht hatte, die Krückstöcke an die Wand hinter ihm zu lehnen . . .« Muß es hier nicht »hinter sich« heißen?
Seite 12, Zeile 30
»Es sei, so Koller, an allen vier Billigessern abzulesen gewesen, daß sie einen wie er an ihrem Tisch gebrauchen konnten . . .« Müßte es nicht heißen: »einen wie ihn«?
Seite 27a, Zeile 11
». . . aber ich durfte naturgemäß auch nicht glauben, daß er darauf vergessen hatte . . .« – »darauf« ist zwar logisch möglich, aber irgendwie ungenau. Sollte man das nicht noch präzisieren?
Seite 43, Zeile 30
»Er hatte auch an diesem Tage nicht auf seine ihm im Laufe von Jahrzehnten zur Gewohnheit gewordene sogenannte Fensterkontrolle vergessen.«
Das ist natürlich so möglich, aber wäre statt »vergessen« nicht vielleicht das Verb »verzichten« einzuführen? Man müßte dann natürlich den Satz umkonstruieren.
Seite 47, Zeile 5
»Manchmal fragten die übrigen Billigesser Weninger ganz abrupt um die Uhrzeit . . .« Sollte man nicht sagen: »nach der Uhrzeit«?
Seite 49, Zeile 23
»Über die Sprache soll er gesagt haben, daß sie vor allem aus Wörtern gleich Gewichten bestehe, von welchen die Gedanken fortwährend herunter und zu Boden gedrückt und dadurch in keinem einzigen Falle in seiner ganzen Bedeutung und tatsächlichen Unendlichkeit offenbar werden könne.«
Müßte man nicht einfügen: »ihrer ganzen Bedeutung«, und müßte es am Schluß nicht heißen: »offenbar werden könnten«?
Seite 20, Zeile 31
Wahrscheinlich ein Tippfehler: ». . . um mir und sich selbst von Zeit den Beweis zu erbringen . . .« Muß es nicht heißen: »von Zeit zu Zeit«?
3. 9. 1979
dr. u. / gl[aser]
1 Der Reisebericht Salzburg, 20.-22. August 1979 hält fest: »Gespräch mit Thomas Bernhard. Übergabe des Manuskripts ›Die Billigesser‹. Er wollte das Manuskript nicht für die esNF [edition suhrkamp Neue Folge] haben, weil er meinte, in einer Reihe ginge das unter. Ich widersprach dem. Das Problem ist noch nicht ausdiskutiert. Ich habe das Manuskript in den Tagen gelesen, es ist ein typischer Bernhard, wieder wird sein Thema variiert, der Triumph des Geistes über die Krüppelhaftigkeit des Menschen.
Das Manuskript ist textlich zwar in Ordnung, aber einige Seiten müssen neu abgeschrieben und zwei Stellen entziffert werden. Es handelt sich um die Geschichte von vier ›Billigessern‹, die in der Wiener öffentlichen Küche (WÖK – also Wök, Menschen) essen und deren Physiognomie typologisch beschrieben wird. Demgegenüber essen die Gesunden und Geistesarmen im Restaurant, Auge Gottes. Einer der Billigesser ist Buchhändler, und man kann sich denken, daß der Buchhandel nicht allzu gut wegkommt.
Thomas Bernhard hat mir noch einmal die Inhaltsübersicht für ›Die Erzählungen‹ bestätigt, ich führe sie hier nochmals an:
›Amras‹
›Das Verbrechen eines Innsbrucker Kaufmannssohns‹
›Der Zimmerer‹
›Jauregg‹
›Zwei Erzieher‹
›Die Mütze‹
›Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?‹
›Viktor Halbnarr. Ein Wintermärchen‹
›Attaché an der französischen Botschaft‹
›An der Baumgrenze‹
›Ungenach‹
›Watten. Ein Nachlaß‹
›Midland in Stilfs‹
›Der Wetterfleck‹
›Am Ortler‹
›Gehen‹
›Ja‹
Gespräch mit Claus Peymann und Thomas Bernhard. Peymann wird ›Vor dem Ruhestand‹ am neuen Orte aufführen, und er wird dann im Frühjahr nächsten Jahres wieder eine Bernhard-Uraufführung bringen.«