Die politische Reformagenda

Die ökonomischen Zusammenhänge sind klar. Nun lautet die Frage: Wie steht es mit der Politik? Werden es unsere politischen Prozesse erlauben, dass wir auch nur eines der einfachsten Elemente dieser Agenda umsetzen? Das wird nur dann geschehen, wenn zuvor grundlegende politische Reformen durchgeführt werden. Wir alle sind Nutznießer einer gut funktionierenden Demokratie und Gesellschaft. Aber weil wir alle profitieren, kann auch jeder zum Trittbrettfahrer werden.23 Die Folge sind unzureichende Investitionen in das reibungslose Funktionieren unserer Demokratie, dem vielleicht wertvollsten öffentlichen Gut überhaupt. Tatsächlich haben wir die Pflege und Instandhaltung dieses öffentlichen Guts weitgehend privatisiert – mit verheerenden Folgen. Wir lassen es zu, dass Konzerne und vermögende Privatpersonen Geld ausgeben, um uns über die Vorzüge alternativer Politikkonzepte und Kandidaten zu »informieren«. Dabei haben sie allen Grund dazu, uns verzerrte Informationen zu liefern.

Alternative institutionelle Strukturen sind möglich, doch auch hier haben wir vielleicht die falsche Richtung eingeschlagen. Eine Reform der Wahlkampffinanzierung sollte den Spielraum für Wahlkampfspenden von Konzernen begrenzen, aber der Oberste Gerichtshof hat in seinem Citizens-United-Urteil Beschränkungen für Spendenbeiträge von Großunternehmen aufgehoben.24 Wir könnten die Mitspracherechte von Aktionären stärken und die Leitungsgremien von Aktiengesellschaften zwingen, sich Wahlkampfspenden von ihren Aktionären absegnen zu lassen; da die US-Konzerne jedoch den Kongress kontrollieren, wurden diese und ähnliche Gesetze, die die politische Macht von Unternehmen einschränkten, nie verabschiedet oder auch nur ernsthaft diskutiert. Wir könnten den Bedarf an Wahlkampfspenden verringern, wenn wir mehr öffentliche Finanzmittel bereitstellen oder Fernseh- und Rundfunksender dazu verpflichten würden, gratis Sendezeit zur Verfügung zu stellen. Aber weder die Fernseh- und Rundfunkstationen (die mit Wahlkampfwerbung viel Geld verdienen) noch die Unternehmen (die aus ersichtlichen Gründen mit dem gegenwärtigen Zustand höchst zufrieden sind) befürworten diese Reformen, und gegen ihren Widerstand wird der Kongress diese Gesetzesänderungen niemals beschließen. Wir könnten versuchen sicherzustellen, dass wir besseren Zugang zu weniger tendenziösen Informationen erhalten, wie dies in mehreren skandinavischen Ländern der Fall ist. Statt die Medien ausschließlich von Moguln kontrollieren zu lassen – die überwiegend dem einen Prozent entstammen und dessen Überzeugungen reproduzieren – haben sie sich mit einigem Erfolg bemüht, demokratischere Medien zu schaffen. Wir könnten, wie viele europäische Länder, vielfältige unabhängige Denkfabriken öffentlich fördern, um eine ausgewogenere Debatte über die Vor- und Nachteile verschiedener politischer Strategien zu ermöglichen.

Wir könnten die Bedeutung des Geldes in der Politik schmälern, wenn wir eine gesetzliche Wahlpflicht einführen würden (mit Bußgeldandrohung für Verweigerer), wie dies Australien, Belgien und Luxemburg getan haben. Den politischen Parteien würde es dann in Wahlkämpfen nicht mehr primär darum gehen, Wähler zu mobilisieren, sondern darum, Wähler zu informieren. Wie nicht anders zu erwarten, ist die Wahlbeteiligung in Ländern mit Wahlpflicht weit höher als in den Vereinigten Staaten (in Australien liegt sie bei über 90 Prozent).25 Und es gibt politische Reformen, die die Wählerregistrierung und die Stimmabgabe erleichtern sowie das Wahlergebnis repräsentativer machen würden  – und dadurch die Wahlbeteiligung erhöhen würden, da die Politik den Anliegen der 99 Prozent mehr Beachtung schenken würde. Einige Reformen würden grundlegend in unser politisches System eingreifen,26 während andere, die den Spielraum für die Manipulation von Wahlbezirksgrenzen oder für die Obstruktionstaktik des Filibuster einschränken würden, im Rahmen der gegenwärtigen politischen Struktur umgesetzt werden könnten.

Bei keinem dieser Rezepte ist der Erfolg garantiert; sie alle werden die politische Macht des einen Prozents wahrscheinlich nur geringfügig beschneiden. Doch gemeinsam mit den im vorigen Abschnitt skizzierten Wirtschaftsreformen eröffnen sie die Chance auf den Anbruch einer neuen Ära – für unsere Volkswirtschaft, unsere Politik und unsere Gesellschaft.

Und dies führt uns zu der abschließenden Frage.

Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht
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