KAPITEL 4
Warum es wichtig ist
In Kapitel 1 sahen wir, dass die amerikanische Wirtschaft seit Jahren für die meisten Bürger nicht das hält, was sie versprochen hat (auch wenn, mit Ausnahme des Jahres 2009, das BIP pro Kopf gewachsen ist). Das hat einen einfachen Grund: wachsende Ungleichheit, eine größer werdende Kluft zwischen den Reichen und dem Rest. In Kapitel 2 sahen wir, dass die Reichen ihr Einkommen unter anderem durch Rent-Seeking überdurchschnittlich steigern konnten – was zur Folge hatte, dass sie sich ein größeres Stück vom Kuchen aneigneten und dadurch den gesamten Kuchen verkleinerten.
Wir zahlen einen hohen Preis für unser großes und zunehmendes Maß an Ungleichheit, und weil diese Entwicklung wahrscheinlich anhält – wenn wir nichts dagegen unternehmen –, wird auch der Preis, den wir zahlen, wahrscheinlich steigen. Die Menschen in den mittleren und insbesondere in den unteren Einkommensgruppen wird es vermutlich am härtesten treffen, doch auch unser Land als Ganzes – unsere Gesellschaft, unsere Demokratie – wird einen sehr hohen Preis zahlen.
Gesellschaften mit großem Verteilungsgefälle funktionieren nicht effizient, ihre Volkswirtschaften sind instabil und langfristig nicht tragfähig. Wenn eine Interessengruppe zu viel Macht hat, kann sie die Politik für ihre Interessen einspannen, so dass diese nicht länger dem Gemeinwohl dient. Setzen die Reichsten ihre politische Macht dazu ein, von ihnen kontrollierten Unternehmungen überzogene Vorteile zu verschaffen, werden dringend benötigte Einnahmen in die Taschen einiger weniger umgeleitet, statt der Gesellschaft insgesamt zugutezukommen.
Aber die Reichen existieren nicht in einem Vakuum. Sie brauchen ein funktionsfähiges Umfeld, um ihre Position aufrechtzuerhalten und mit ihren Vermögenswerten Einkommen zu erwirtschaften. Die Reichen wehren sich gegen Steuern, doch Steuern erlauben es dem Staat, Investitionen zu tätigen, die langfristig ein hohes Wirtschaftswachstum sicherstellen. Wenn der Staat aus Mangel an Steuereinnahmen nur wenig Geld ins Bildungswesen investiert, bringen Schulen nicht die hochqualifizierten Absolventen hervor, die Unternehmen brauchen, um zu prosperieren. Wird dieser Trend ins Extrem getrieben – und so weit sind wir heute –, verzerrt er die sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen genauso stark, wie die schnell und mühelos zu erzielenden Einnahmen der Rohstoffindustrie das Wirtschaftsgefüge und die Anreizstruktur in erdöl- und erzreichen Ländern verzerren.
Wir wissen, wozu solche extremen Ungleichgewichte führen, denn allzu viele Länder haben diese Entwicklung bereits hinter sich. Die Erfahrung Lateinamerikas, der Weltregion mit dem höchsten Grad an Ungleichheit,1 liefert uns einen Vorgeschmack auf das, was uns bevorsteht. Viele dieser Länder wurden jahrzehntelang von Bürgerkriegen heimgesucht, sie litten unter hoher Kriminalität und gesellschaftlicher Instabilität. So etwas wie gesellschaftlichen Zusammenhalt gab es nicht.
In diesem Kapitel wird erklärt, weshalb eine Volkswirtschaft wie die US-amerikanische, in der das Vermögen der meisten Bürger schrumpft, das mittlere Einkommen stagniert und es vielen der ärmsten Bürger Jahr für Jahr finanziell schlechter geht, auf lange Sicht höchstwahrscheinlich nicht prosperieren wird. Zunächst werden wir uns die Auswirkungen der Ungleichverteilung auf das Sozialprodukt und die ökonomische Stabilität ansehen, dann die Folgen für die ökonomische Effizienz und das Wachstum betrachten – und es gibt deren viele, die sich zudem über eine Reihe von Kanälen bemerkbar machen. Einige werden durch die fortschreitende Verarmung verursacht, andere lassen sich auf die Aushöhlung der Mittelschicht zurückführen, wieder andere auf die zunehmende Disparität zwischen dem obersten einen Prozent und der übrigen Bevölkerung. Einige dieser Effekte wurzeln in traditionellen ökonomischen Mechanismen, während andere durch die allgemeinen Konsequenzen der Ungleichheit für unser politisches System und unsere Gesellschaft ausgelöst werden. Auch irrige Vorstellungen, wonach etwa Ungleichheit wachstumsfördernd sei, während Maßnahmen zur Angleichung der Lebensumstände – etwa Steuererhöhungen für die Reichen – wachstumshemmend seien, werden unter die Lupe genommen.