Mythen

Die Debatte über den Haushalt wird von einer Reihe von Mythen vernebelt, von denen einige bereits thematisiert wurden. Der Mythos der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik besagt, dass die Besteuerung der Reichen Arbeitsplätze vernichtet und die Spartätigkeit reduziert, mit der Folge, dass alle – nicht nur die Reichen – schlechter gestellt sind. Jede Branche hat ihre eigene Version dieses Mythos: Die Kürzung der Militärausgaben kostet Arbeitsplätze. Die Beseitigung von Steuervergünstigungen für die Kohle- und Mineralölindustrie kostet Arbeitsplätze. Wirtschaftszweige, die zur Luft- oder Wasserverschmutzung beitragen oder Giftmüll produzieren, behaupten ebenfalls, dass es Jobs kosten wird, wenn Verschmutzer für die Kosten, die sie anderen auferlegen, einstehen müssen.

Wie dargelegt, sprechen Erfahrung und Theorie ganz entschieden gegen eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, doch das ist heute fast nebensächlich. Heute ist unser Problem nicht das Angebot, sondern die Nachfrage: Zumindest Großunternehmen haben die Mittel, jede Investition zu tätigen, die sie wollen; doch wenn es keine Nachfrage nach ihren Produkten gibt, werden diese Investitionen nicht erfolgen. Um die Investitionstätigkeit anzukurbeln, müssen wir uns auf das Problem konzentrieren, wie sich die Nachfrage am ehesten beleben lässt. Wenn die unteren und mittleren Einkommen mehr Geld im Portemonnaie hätten, würde genau dies geschehen. Strategien zum Defizitabbau, die der Mittelschicht einen Großteil der Steuererhöhungen aufbürden, würden daher die Situation nur noch verschlimmern.29

Die Makropolitik – die Geld- und Fiskalpolitik – ist dafür verantwortlich, Vollbeschäftigung zu erreichen und aufrechtzuerhalten. Wenn alles gut läuft und annähernd Vollbeschäftigung herrscht, schafft man mit überzogenen Militärausgaben und großzügigen Subventionen keine Arbeitsplätze. Sie verzerren die Wirtschaft lediglich, indem sie Arbeitskräfte von produktiveren Verwendungszwecken zu weniger produktiven umlenken. Zwar stimmt es, dass bei einer Korrektur dieser Verzerrungen einige Arbeitskräfte mit sektorspezifischen Qualifikationen zu den Verlierern gehören werden, da ihre Kompetenzen nicht länger gefragt sind. Aber das ist kein Argument dafür, ihre Arbeitsplätze zu erhalten. Es ist ein Argument dafür, den betroffenen Arbeitern durch eine robuste Anpassungshilfe unter die Arme zu greifen – aber genau dies lehnen die Konservativen im Allgemeinen ab.

Der wirkmächtigste Mythos überhaupt ist vielleicht die Behauptung, eine erhöhte Besteuerung von Millionären und Konzernen werde der mittelständischen Wirtschaft schaden und daher Arbeitsplätze kosten. In Wirklichkeit wären nur sehr wenige mittelständische Betriebe von einer solchen Steuererhöhung überhaupt betroffen: weniger als ein Prozent. Und nur ihre Gewinne würden geringfügig reduziert. Wenn es sich vor der Steuer lohnte, einen Arbeiter einzustellen oder eine neue Maschine zu kaufen, dann wäre dies auch danach noch der Fall. Nehmen wir an, die Einstellung eines Arbeiters bringt dem Unternehmen einen Ertrag von 100 000 Dollar und das Unternehmen müsste (einschließlich aller Steuern) 50 000 Dollar bezahlen, dann beliefe sich der Gewinn auf 50 000 Dollar. Wenn der Eigentümer jetzt eine Sondersteuer auf den Gewinn in Höhe von 5 Prozent zahlen müsste, würde dies zwar seinen Nettoertrag um 2500 Dollar mindern, es würde sich aber weiterhin für ihn lohnen, den Arbeiter einzustellen. Das Bemerkenswerte an gegenteiligen Behauptungen ist die Tatsache, dass sie elementaren ökonomischen Grundsätzen widersprechen: Eine Investition oder ein Arbeitsplatz, die vor der Steuererhöhung rentabel waren, werden danach nicht unrentabel.

Zu einem Zeitpunkt, zu dem mittelständische Unternehmen nur beschränkten Zugang zum Kreditmarkt haben, mag die Sorge bestehen, dass eine stärkere Besteuerung von Millionären deren Fähigkeit verringert, wünschenswerte Investitionen zu tätigen (schlicht deshalb, weil ihnen nach Steuern weniger Geld zum Ausgeben bleibt). Ironischerweise behaupten die Banken, die in der Großen Rezession so großzügig unterstützt wurden, dies sei nicht der Fall: Solide mittelständische Unternehmen mit aussichtsreichen Projekten könnten ihren Kreditbedarf auch weiterhin decken. Nach Darstellung der Banken ist die unzureichende Kreditversorgung der mittelständischen Wirtschaft nicht darauf zurückzuführen, dass die Banken (die unter der stillschweigenden Bedingung so großzügig unterstützt wurden, dass sie im Gegenzug Kredite in ausreichendem Maße zur Verfügung stellen) ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen wären; es liege vielmehr daran, dass sich in der Rezession keine attraktiven neuen Chancen für Kreditgeschäfte böten. Aber selbst wenn die Investitionsfähigkeit tatsächlich gelitten haben sollte, gäbe es bessere Wege, damit umzugehen, als den Großbanken einen Blankoscheck auszustellen und zu hoffen, dass ein Teil des Geldes irgendwie nach unten durchsickern und schließlich Arbeitsplätze schaffen wird.30

Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht
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