Der IWF: Der Kaiser ist nackt
In Die Schatten der Globalisierung schilderte ich die heftigen Auseinandersetzungen, die sich der IWF mit einigen Akteuren in Entwicklungs-und Schwellenländern in der Entwicklungspolitik, bei der politischen Gestaltung des Übergangs von der Plan- in eine Marktwirtschaft und beim Management der Asienkrise lieferte. Ich legte dar, dass der IWF Ländern in einer Rezession eine strenge Sparpolitik auferlegte, und erläuterte, dass seine »Strukturanpassungsprogramme« – die Privatisierung und Liberalisierung verlangten – oftmals nicht zu Wachstum, sondern zu Verelendung führten.
Damals galt der IWF, insbesondere im Westen, als die Autorität auf diesem Feld. Viele in den Entwicklungsländern dagegen waren skeptisch: Sie sahen, dass die vom IWF propagierten politischen Maßnahmen oft scheiterten. In ihrer Wahrnehmung förderte der IWF die Interessen des globalen Finanzsektors und die der Unternehmen aus den fortgeschrittenen Industriestaaten. Sie glaubten jedoch, ihnen bleibe nichts anderes übrig, als die IWF-Auflagen zu erfüllen. Schließlich brauchten sie sein Geld. Ich dagegen wollte zeigen, dass der Kaiser nackt war: dass die politischen Leitlinien des IWF wirtschaftswissenschaftlich auf tönernen Füßen standen, ja, dass viele der von ihm propagierten Lehren im Verlauf der letzten 25 Jahre durch neueste wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse gründlich diskreditiert worden waren.
Ich wollte auch einige der intellektuellen Inkonsistenzen und das Versagen der Steuerungs- und Kontrollmechanismen beim IWF aufdecken. In dieser Zeit rückte in zunehmendem Maße die sogenannte gute Regierungsführung in den Blickpunkt des IWF, dabei lag bei seinen eigenen Lenkungs- und Kontrollstrukturen vieles im Argen. Der Finanzsektor hatte zu viel Einfluss, die Entwicklungsländer hatten zu wenig. Dieses Ungleichgewicht erklärt, weshalb der IWF so großen Wert auf eine strikte Sparpolitik legte; oberste Priorität hatte für ihn die Rückzahlung der Kredite westlicher Gläubiger, und dies bedeutete, dass die Schuldnerländer ihre Ausgaben zurückfahren mussten, damit mehr Geld für die Schuldentilgung übrigblieb. Es erklärt auch, weshalb sich der IWF so energisch für die Liberalisierung der Kapitalmärkte einsetzte, die Beseitigung von Regeln, die den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr (insbesondere kurzfristige, spekulative Kapitalströme) behinderten. Während kaum etwas dafür sprach, dass die Kapitalmarktliberalisierung zu höherem Wachstum führt, sprach sehr viel dafür, dass sie zur Destabilisierung beiträgt. Aber aus Sicht der Industrienationen war sie trotzdem wünschenswert, weil sie westlichen Finanzinstituten mehr Spielraum gab, in Entwicklungsländern geschäftlich aktiv zu werden – und dort weitere Gewinne zu erwirtschaften. Ganz offensichtlich wurde das Verhalten des IWF von einer Kombination aus ideologischen Anschauungen und Interessen bestimmt, die an Eigendynamik gewannen.
Dass der IWF sich mit meinen Sichtweisen nicht anfreunden konnte, war nicht weiter erstaunlich. Er reagierte mit persönlichen Schmähungen gegen mich. Als ich behauptete, dass es unter bestimmten Umständen sinnvoll sein könnte, Kapitalverkehrskontrollen einzuführen, wurde ich als ökonomischer Scharlatan hingestellt.
Zehn Jahre später sieht das Schlachtfeld anders aus. Die Wahrnehmungen haben sich grundlegend gewandelt (mein Buch mag einen Beitrag dazu geleistet haben), und es besteht weithin Einvernehmen darüber, dass die Lenkungs- und Kontrollstrukturen des IWF reformiert werden müssen. Einige der notwendigen Reformschritte wurden bereits in Angriff genommen, und für die Zukunft sind weitere geplant.
Der IWF hat eingeräumt, dass Kapitalverkehrskontrollen unter bestimmten Umständen sinnvoll sein können.69 Bei einigen seiner Strukturprogramme, etwa dem für Island, hat der IWF Kapitalverkehrskontrollen akzeptiert und deutlich weniger Sparauflagen als früher gemacht. Hinter den Kulissen drängte er in einigen europäischen Krisenländern auf Umschuldungen, bei denen die Gläubiger einen größeren Teil der Kosten und die Steuerzahler einen kleineren Teil tragen sollten. Dem stehen allerdings mächtige Gegenspieler wie die Europäische Zentralbank entgegen. Während im Fall Griechenland die Notwendigkeit einer tief greifenden Umschuldung schließlich doch akzeptiert wurde, wurden in Irland sogar ungesicherte Anleihegläubiger geschützt: Sie kassierten die hohen Kapitalerträge, angeblich dafür, dass sie ein Risiko eingingen, aber letztlich wurden ihre Forderungen abgesichert – was den irischen Steuerzahler teuer zu stehen kommt.