Vereinnahmung
Wir sahen in Kapitel 2, dass eine Regulierungsbehörde von dem zu regulierenden Wirtschaftszweig vereinnahmt wird, wenn in ihrer Regulierungsstrategie die Interessen derer, die sie regulieren soll, größere Beachtung finden als das öffentliche Interesse. Das hängt unter anderem mit dem System der »Drehtüren« zusammen: Die Regulierer stammen aus dem zu regulierenden Sektor, in den sie, nach einem kurzen Abstecher in den Staatsdienst, auch zurückkehren. Die Vereinnahmung erfolgt zum einen über kognitive Prozesse – der Regulierer übernimmt die Denkweise derjenigen, die er regulieren soll –, im Falle der Vereinigten Staaten allerdings auch ganz direkt, wenn sich die Wall Street massiv in den Auswahlprozess von Kandidaten für den Zentralbankvorstand einmischt. Ich habe das in der Regierung Clinton selbst erlebt, als die Ernennung zweier hervorragend qualifizierter Kandidaten von den Finanzmärkten praktisch verhindert wurde. Eine Kandidatin wurde boykottiert, weil sie ihre Sorge über diskriminierende Praktiken bei der Kreditvergabe geäußert hatte, der zweite Kandidat fiel durch, weil er offenbar Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung zu viel Gewicht beimaß. Der seltsamste Fall ereignete sich während der Regierungszeit Obamas. Er hatte einen brillanten Nobelpreisträger nominiert, der bahnbrechende Beiträge zum Verständnis der Arbeitslosigkeit und ihrer Bestimmungsfaktoren geleistet hatte – etwas, das für die Notenbank von höchstem Interesse hätte sein sollen. Vielleicht erkannten einige Akteure auf den Finanzmärkten, dass ein kritischer Denker, der womöglich einige überkommene geld- und kreditpolitische Grundsätze der Zentralbank, die weder wirtschaftstheoretisch noch empirisch hinreichend fundiert waren, in Frage stellen würde, unbequem sein würde. Seine Nominierung wurde jedenfalls vom Bankenausschuss des Senats blockiert.25
Trotz dieses Drucks von außen sind unter den Mitgliedern des Zentralbankvorstands sehr unterschiedliche Standpunkte anzutreffen. Es gab sogar ein Vorstandsmitglied, das vor den faulen Krediten im Immobiliensektor warnte; er wurde allerdings von seinen Kollegen schlichtweg ignoriert.26 In dieser Rezession haben mehrere Zentralbankvorstände beteuert, die Arbeitslosigkeit sei die Schlüsselfrage, und die Bank hat anerkannt, dass die unzureichende Nachfrage das eigentliche Problem ist. Einige machten sogar den (für Notenbanker) häretischen Vorschlag, die Arbeitslosigkeit, nicht die Inflation, solle vorrangige »Zielgröße« der Geldpolitik sein, und zwar so lange, bis die Arbeitslosigkeit deutlich gesunken ist.