Rent-Seeking begrenzen und gleiche Bedingungen für alle schaffen

Den Finanzsektor zügeln. Da die Zunahme der Ungleichheit zu einem Gutteil mit den Auswüchsen im Finanzsektor zusammenhängt, bietet es sich an, hier mit einem Reformprogramm anzusetzen. Der Dodd-Frank Act zur Finanzmarktregulierung war ein Anfang, aber nicht mehr. Die folgenden sechs Reformschritte sind dringend erforderlich:

  1. Die überzogene Risikobereitschaft der Finanzinstitute muss gezügelt sowie deren »Systemrelevanz« – durch schiere Größe und Vernetzung  – eingeschränkt werden; diese tödliche Kombination ist für die wiederholten Rettungspakete der letzten dreißig Jahre verantwortlich. Beschränkungen der Fremdkapitalaufnahme und der Liquidität sind von entscheidender Bedeutung, denn die Banken glauben aus irgendeinem Grund, sie könnten wie mit einem magischen Hebel (Leverage-Effekt) Schulden in Eigenkapital verwandeln. Aber das ist ein fauler Zauber. Was sie in Wirklichkeit erschaffen, sind Risiken und extreme Instabilität.2
  2. Banken müssen transparenter werden, insbesondere was ihren außerbörslichen Handel mit Derivaten anbelangt, der stark begrenzt werden sollte und von dem mit Staatsbürgschaften abgesicherte Finanzinstitute die Finger lassen sollten. Der Steuerzahler sollte für diese riskanten Produkte keine Haftung übernehmen, ganz egal, ob wir sie als Versicherung, als eine Form des Glücksspiels oder als »finanzielle Massenvernichtungswaffen«, wie Warren Buffett sie nannte, betrachten.3
  3. Der Wettbewerb im Bankensektor und unter den Kreditkartenunternehmen sollte gestärkt werden, und es sollte dafür gesorgt werden, dass sie auch wettbewerblich handeln. Wir verfügen über die Technik, um einen effizienten elektronischen Zahlungsmechanismus für das 21. Jahrhundert einzurichten, aber unser Bankensystem ist entschlossen, an einem Kredit- und Debitkartensystem festzuhalten, das nicht nur die Verbraucher ausbeutet, sondern auch den Einzelhändlern für jede Transaktion überhöhte Gebühren auferlegt.
  4. Den Banken sollten ausbeuterische Kreditgeschäfte, bei denen sie gezielt die Unwissenheit ihrer Vertragspartner ausnutzen, und unlautere Kreditkartengeschäfte erschwert werden; dazu gehört auch die Einschränkung von Zinswucher.
  5. Bonussysteme, die überzogene Risikobereitschaft und kurzsichtiges Verhalten fördern, sollten verboten werden.
  6. Offshore-Bankplätze (und ihre »Onshore«-Pendants), die sich Regulierungen so erfolgreich entzogen und zugleich Steuerflucht und -hinterziehung gefördert haben, sollten geschlossen werden. Es gibt keinen sachlichen Grund dafür, so viele Finanzgeschäfte auf den Cayman Islands zu tätigen; weder die Inseln an sich noch ihr Klima sind Bankdienstleistungen besonders förderlich. Der Bankplatz dient nur einem einzigen Zweck: Steuerhinterziehung.

Viele dieser Reformen hängen miteinander zusammen: Mehr Wettbewerb im Bankensektor wird vermutlich dazu führen, dass die unlauteren Geschäftspraktiken zurückgehen und die Banken beim Rent-Seeking weniger erfolgreich sein werden. Es wird schwer sein, dem Finanzsektor Zügel anzulegen, weil die Banken so geschickt darin sind, Regeln zu umgehen. Selbst wenn man die Größe der Banken beschränkt – eine Aufgabe, die schwer genug ist –, werden sie untereinander Kontrakte schließen (etwa Derivate), durch die sie so eng miteinander verflochten sind, dass der Staat sie notfalls wieder herauspauken muss.

 

Strengere und effektiver durchgesetzte Wettbewerbsgesetze. Auch wenn jeder Aspekt unseres (aufsichts-)rechtlichen Ordnungsrahmens sowohl für die ökonomische Effizienz als auch für die soziale Gerechtigkeit von Belang ist, sind die Gesetze, die den Wettbewerb, die Corporate Governance und das Insolvenzverfahren regeln, besonders wichtig.

Monopole und unvollkommene Wettbewerbsmärkte sind eine wichtige Quelle von Renteneinkommen. Das Bankgewerbe ist nicht der einzige Sektor, in dem zu wenig Wettbewerb herrscht. Betrachtet man die einzelnen Wirtschaftssektoren, ist es verblüffend, wie viele von höchstens zwei, drei oder vier Firmen beherrscht werden. Früher einmal hielt man das für unproblematisch – weil in dem dynamischen Wettbewerb, der mit dem technischen Wandel einhergeht, ein marktbeherrschendes Unternehmen ein anderes ablösen würde. Es gab einen Wettbewerb »um« den Markt, statt eines Wettbewerbs auf dem Markt. Aber wir wissen, dass dies nicht ausreichen wird. Marktbeherrschende Unternehmen verfügen über Instrumente, mit denen sie Wettbewerber unterdrücken und häufig auch Innovationen unterbinden können. Die höheren Preise, die sie verlangen, verzerren nicht nur die Wirtschaft, sondern sie wirken auch wie eine Steuer, deren Einnahmen allerdings nicht öffentlichen Zwecken zugutekommen, sondern die Schatullen der Monopolisten füllen.

 

Verbesserung der Corporate Governance – insbesondere um die Möglichkeiten von Vorstandschefs einzuschränken, Gewinne des von ihnen geführten Unternehmens für sich selbst abzuzweigen. Topmanager von Konzernen haben zu viel Macht, und ihrer vermeintlichen intellektuellen Brillanz wird zu viel Respekt entgegengebracht. Wir haben gesehen, wie sie diese Macht missbrauchen, um in die eigene Tasche zu wirtschaften. Gesetze, die Aktionären ein Mitspracherecht in Fragen der Führungskräftevergütung einräumen, wären ein wichtiger Schritt. Das Gleiche gilt für Bilanzierungsregeln, die den Aktionären ein genaues Bild darüber vermitteln, wie die leitenden Angestellten ihres Unternehmens entlohnt werden.

Umfassende Reform der Insolvenzgesetze – mit Blick auf Derivate, überschuldete Hausbesitzer bis hin zum Umgang mit Studentendarlehen. Das Insolvenzrecht liefert ein weiteres Beispiel dafür, dass die grundlegenden Spielregeln der Märkte erhebliche Verteilungsfolgen und Effizienzeffekte haben. Wie in vielen anderen Bereichen bevorteilen diese Regeln in zunehmendem Maße die Topverdiener.

Jeder Kredit beruht auf einem Vertrag, der nur durch übereinstimmende Willenserklärung von Kreditnehmer und Kreditgeber zustande kommt, wobei jedoch im Allgemeinen eine Vertragsseite viel bessere Marktkenntnisse besitzt als die andere; daher liegt eine massive Asymmetrie bezüglich des Informationsstands und der Verhandlungsmacht vor. Entsprechend sollte der Kreditgeber, nicht der Kreditnehmer, die Hauptlast der Folgen tragen, die ein Fehler nach sich zieht.

Ein schuldnerfreundlicheres Insolvenzrecht würde Banken einen Anreiz geben, bei der Kreditvergabe mehr Sorgfalt walten zu lassen. Wir hätten weniger Kreditblasen und weniger hochverschuldete Amerikaner. Eines der skandalösesten Beispiele unlauterer Kreditvergabe sind die Studentendarlehen; und diese sittenwidrigen Geschäfte werden für die Banken durch den Umstand besonders attraktiv, dass die Schulden im Fall einer Privatinsolvenz nicht erlöschen.

Kurzum, ein unausgewogenes Insolvenzrecht hat mit zu der Aufblähung des Finanzsektors, zu ökonomischer Instabilität, zur Ausbeutung der Armen und Uninformierten und zu ökonomischer Ungleichheit beigetragen.

 

Schluss mit staatlichen Geschenken – ob bei der Verfügung über öffentliche Vermögenswerte oder bei der Auftragsvergabe. Die vorherigen vier Reformen konzentrieren sich darauf, den Spielraum der Superreichen, darunter jener aus dem Finanzsektor, zur Ausbeutung von Verbrauchern, Kreditnehmern, Aktionären und anderen bei privaten Transaktionen zu begrenzen. Aber Rent-Seeking ergibt sich oft auch aus der Ausbeutung der Steuerzahler. Diese Ausbeutung nimmt viele verschiedene Formen an – einige lassen sich am besten als Geschenke beschreiben, andere fallen unter die Rubrik »Konzernwohlfahrt«.

Wie wir in Kapitel 2 sahen, geht es bei den Geschenken der öffentlichen Hand an Unternehmen um gewaltige Summen. Das Spektrum dieser Gaben reicht von der Klausel, die Behörden Preisverhandlungen mit Pharmaherstellern untersagt, über die Kostenzuschlagsverträge mit Halliburton im Verteidigungsbereich, schlecht geplante Auktionen von Ölbohrrechten, die kostenlose Vergabe von Frequenzspektren an Fernseh- und Radiosender bis hin zu Förderabgaben für Erze unter dem Marktpreis. Diese Geschenke sind schlicht ein Transfer von der Gesellschaft an Unternehmen und an die Reichen; aber in einer Zeit knapper Budgets sind sie mehr als das, denn sie führen dazu, dass hochrentierliche öffentliche Investitionen zurückgefahren werden.

 

Schluss mit der »Konzernwohlfahrt« – einschließlich versteckter Subventionen. In den vorangegangenen Kapiteln habe ich gezeigt, dass die Regierung allzu oft, statt Bedürftigen zu helfen, ihr kostbares Geld lieber dafür ausgibt, Unternehmen zu stützen. Viele dieser Subventionen sind im Steuergesetz versteckt. Obwohl alle Schlupflöcher, Ausnahmen, Befreiungen und Präferenzen die Steuerprogression bremsen und Anreize verzerren, gilt dies für solche zugunsten der Konzernwohlfahrt in besonderem Maße. Unternehmen, die es nicht aus eigener Kraft schaffen, sollten vom Markt verschwinden. Vielleicht brauchen ihre Mitarbeiter Hilfe bei der Suche nach einer neuen Stelle, aber das ist etwas ganz anderes als Konzernwohlfahrt.

Die Konzernwohlfahrt wird weitgehend intransparent gewährt – vielleicht deshalb, weil die Bürger, wenn sie wirklich wüssten, wie viel sie das kostet, dagegen rebellieren würden. Neben den Vergünstigungen im Steuerrecht gibt es die Subventionen, die sich in billigen Krediten und staatlichen Kreditbürgschaften verbergen. Zu den gefährlichsten Formen der Konzernwohlfahrt gehören jene, welche die Haftung für die Schäden, die Unternehmen anrichten können, begrenzen – ob es die beschränkte Haftung für Kernkraftwerke oder für die Umweltschäden der Ölindustrie ist.

Wenn man nicht die vollen Kosten für einen Schaden, den man durch sein Handeln angerichtet hat, tragen muss, kommt dies einer impliziten Subvention gleich, so dass alle Branchen, die zum Beispiel anderen Umweltkosten auferlegen, de facto subventioniert werden. Wie viele der anderen Reformen, die ich in diesem Abschnitt vorgestellt habe, hätten auch diese eine dreifach positive Wirkung: die Wirtschaft würde effizienter, es gäbe weniger Exzesse an der Spitze, und der gesamtgesellschaftliche Wohlstand würde steigen.

 

Das Rechtssystem reformieren – den Zugang zur Justiz demokratisieren und dem »Wettrüsten« vor Gericht Grenzen setzen. Das Rechtssystem generiert gewaltige Renten auf Kosten der Allgemeinheit. In unserem System herrscht nicht Gerechtigkeit für alle, sondern ein Wettrüsten, und diejenigen mit den tiefsten Taschen sind am ehesten in der Lage, sich auf den Kampf einzulassen und ihn zu gewinnen. Ginge ich in die Einzelheiten einer Reform unseres Rechtssystems, würde dies den Rahmen dieses Buches – oder auch eines viel umfangreicheren Werkes – sprengen. Es genügt zu sagen, dass die notwendigen Reformen sehr viel weiter reichen – und in eine ganz andere Richtung gehen – müssen als die Reform der Prozessordnung, für die sich die politische Rechte einsetzt. Die Umsetzung der konservativen Reformpläne hätte zur Folge, dass der Durchschnittsamerikaner faktisch keinen Rechtsschutz mehr genösse, wie Prozessanwälte zu Recht monieren. In anderen Ländern dagegen gelten Haftungs- und Rechtsschutzsysteme, bei denen Ärzte für Kunstfehler zur Verantwortung gezogen werden und wo diejenigen, die aufgrund eines Kunstfehlers einen Schaden erleiden, eine angemessene Entschädigung erhalten.4

Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht
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