Weshalb es uns kümmern sollte
Unser politisches System ist mittlerweile so konstruiert, dass es, obgleich nominell auf dem Grundsatz der Gleichgewichtigkeit aller Wählerstimmen (eine Person – eine Stimme) beruhend, letztlich den Interessen der Menschen an der Spitze der Einkommens- und Vermögenspyramide dient. Und ein weiterer Teufelskreis wurde in Gang gesetzt: Die politischen Spielregeln begünstigen die Reichen nicht nur auf direktem Wege, indem sie dafür sorgen, dass deren Stimmen ein unverhältnismäßig großes Gewicht haben, sie laufen auch auf einen politischen Prozess hinaus, der den Reichen indirekt noch mehr Macht verleiht. Ich habe eine ganze Reihe von Faktoren aufgezeigt, die zu Politikverdrossenheit und Misstrauen gegenüber dem politischen System beitragen. Die tiefe Spaltung in unserer Gesellschaft erschwert die Suche nach Kompromissen und trägt zu unserem politischen Stillstand bei, der wiederum das Vertrauen sowohl in die Leistungsfähigkeit als auch in die Fairness unserer Institutionen untergräbt. Versuche, bestimmten Bevölkerungsgruppen das Wahlrecht zu entziehen, die Erkenntnis, dass unser politisches und ökonomisches System unfair ist, das Wissen, dass der Informationsfluss durch Medien kontrolliert wird, die ihrerseits von den oberen Zehntausend kontrolliert werden, und die offensichtliche Rolle des Geldes in der Politik, die sich in der Tatsache widerspiegelt, dass unbeschränkte Wahlkampfspenden erlaubt sind, nährten die Politikverdrossenheit noch. Die Enttäuschung hat die politische Partizipation insbesondere der unteren Einkommensgruppen genauso effektiv zurückgehen lassen wie die unverhohlenen Versuche der Wahlrechtsmanipulation in dem Bestreben, den Stimmen der Reichen ein unverhältnismäßig großes Gewicht zu geben. Dies hat dem oberen 1 Prozent und seinem Geld mehr Einflussmöglichkeiten verschafft – was wiederum das Misstrauen und die Verdrossenheit noch weiter anheizte. Aufgrund dieser Desillusionierung ist es kostspielig, die Wähler zum Urnengang zu mobilisieren – und Kampagnen zur Wählermobilisierung lassen sich auf diejenigen konzentrieren, deren Interessen mit denen der Reichen übereinstimmen.
Der Effekt lässt sich in den Vereinigten Staaten beobachten, wo die Wahlbeteiligung im Vergleich zu der in anderen fortgeschrittenen Gesellschaften kläglich niedrig ist. Die durchschnittliche Wahlbeteiligung bei den Präsidentschaftswahlen betrug in den letzten Jahren 57 Prozent.38 Aber bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus gaben in den Jahren, in denen nicht gleichzeitig Präsidentschaftswahlen stattfanden, im Schnitt nur 37,5 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab.39 In Anbetracht des Ausmaßes der Enttäuschung unter den jungen Wahlberechtigten – insbesondere nach den Wahlen von 2008, als die Erwartungen so hoch waren –, ist es nicht weiter verwunderlich, dass deren Wahlbeteiligung bei den Wahlen im Jahr 2010 mit nur etwa 20 Prozent noch niedriger lag.40 Die Beteiligung an den parteiinternen Vorwahlen ist noch niedriger – und zudem verzerrt41 –, mit der Folge, dass die Alternativen, die sich den Wählern bei den allgemeinen Wahlen bieten, enttäuschend erscheinen und ihrerseits zu einer niedrigen Beteiligung bei diesen Wahlen beitragen.
Die Desillusionierung über unser politisches System und der Glaube, dass es unfair ist, können außerparlamentarisch Erschütterungen auslösen, wie die Occupy-Wall-Street-Bewegung zeigt. Führt dies dann zu einer Reform des politischen Systems, mag sich dies durchaus positiv auswirken. Wenn das politische System Reformen jedoch eine Absage erteilt, wird die Entfremdung von den Bürgern noch vorangetrieben. Oben war davon die Rede, wie wichtig Vertrauen, Kooperation, Sozialkapital und das Gefühl, fair behandelt zu werden, für eine funktionierende Wirtschaft und Gesellschaft im Allgemeinen sind. Die diesbezüglichen Mängel unseres politischen Systems haben weitreichende Konsequenzen – ein weiterer hoher Preis, den unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft für die große und sich verbreiternde Kluft zwischen Arm und Reich zahlt.