Der Faktor Griechenland
Die anhaltende Schuldenkrise in Griechenland und andere Probleme im übrigen Europa flößen vielen Menschen eine regelrechte Schuldenangst ein. Die Menschen, die die Krise in Europa betrachten, sehen durch sie ihre Vorurteile bestätigt: Das geschieht eben, so sagen sie sich, wenn man hohe Steuern und Schulden und allzu üppige Sozialleistungen hat. Aber diese Interpretation der Vorgänge in Europa ist schlicht falsch, und die Situation Griechenlands (und anderer europäischer Länder) unterscheidet sich deutlich von der der Vereinigten Staaten. Und diese Unterschiede sind auf das Währungssystem zurückzuführen.
Griechenland kann man den Vorwurf machen, über seine Verhältnisse gelebt zu haben – auch wenn den Finanzsektor einmal mehr eine Mitschuld daran trifft, hat doch eine US-Bank einer früheren Regierung mittels Finanzderivaten geholfen, die wahre Lage der Staatsfinanzen vor ihren Bürgern und der EU zu verschleiern. Anderen Krisenländern kann man dagegen keine Verschwendungssucht vorwerfen: Irland und Spanien hatten vor der Krise Haushaltsüberschüsse.
Einer der großen Unterschiede zwischen den Vereinigten Staaten und Griechenland (und diesen anderen Ländern) besteht darin, dass diese anderen Länder Schulden in Euro haben – einer Währung, die sie nicht direkt kontrollieren –, während die US-Schuldpapiere auf Dollar lauten. Und die Vereinigten Staaten sitzen an der Notenpresse. Aus diesem Grund grenzt die Vorstellung, die Vereinigten Staaten stünden kurz vor der Zahlungsunfähigkeit (wie es eine Ratingagentur behauptete), ans Absurde. Es gibt selbstverständlich eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass zwecks Schuldenrückzahlung so viele Dollar gedruckt werden müssten, dass diese nicht mehr viel wert sind. Aber dann wäre Inflation das Problem, und gegenwärtig halten die Märkte Inflation nicht für ein ernstes Risiko. Dies lässt sich den sehr niedrigen Zinsen entnehmen, die die Regierung für ihre langfristigen Anleihen zahlen muss, und, mehr noch, dem Zins, den sie für inflationsgeschützte Anleihen zahlen muss (genauer gesagt, der Zinsdifferenz zwischen gewöhnlichen Anleihen und inflationsgeschützten Anleihen). Der Markt könnte sich irren, aber dann hätten die Ratingagenturen, die die Vereinigten Staaten herabgestuft haben, erklären sollen, weshalb sich der Markt irrt und woher sie die Überzeugung nehmen, das Inflationsrisiko sei viel höher, als der Markt glaubt. Diese Antworten blieben aus.
Vor dem Euro lauteten die griechischen Schuldtitel auf Drachmen. Heute lauten sie auf Euro. Aber nicht genug damit, dass Griechenland Schulden in Euro hat, hinzu kommt, dass es seine geld- und währungspolitischen Kompetenzen an eine europäische Institution abgegeben hat. Die Vereinigten Staaten wissen, dass die US-Notenbank amerikanische Staatsanleihen kauft. Griechenland kann nicht einmal sicher sein, dass die Europäische Zentralbank (EZB) griechische Anleihen ankaufen wird, die sich im Besitz griechischer Banken befinden. Tatsächlich droht die EZB unentwegt damit, keine Staatsanleihen von Ländern der Eurozone mehr anzukaufen, es sei denn, diese tun das, was die EZB verlangt.