Im internationalen Vergleich
Im weltweiten Vergleich ist die Ungleichheit in den Vereinigten Staaten nicht nur ausgeprägter als in allen anderen Industrieländern, sondern die Schere öffnet sich, in absoluten Zahlen gemessen, noch. Bereits Mitte der achtziger Jahre klafften die Vermögensverhältnisse in den Vereinigten Staaten weiter auseinander als in allen anderen fortgeschrittenen Industrieländern.91 Und seitdem hat die Ungleichheit in Frankreich, Ungarn und Belgien nicht nennenswert zugenommen, während sie in der Türkei und in Griechenland sogar zurückgegangen ist. Wir dagegen nähern uns jetzt einem Grad an Ungleichheit, der dysfunktionale Gesellschaften kennzeichnet – und diesem »Klub« wollen wir mit Sicherheit nicht beitreten, gehören ihm doch Länder wie der Iran, Jamaika, Uganda und die Philippinen an.92
Aufgrund des hohen und zunehmenden Maßes an Ungleichheit sagt das Einkommen (oder BIP) pro Kopf der Bevölkerung nicht viel darüber aus, wie es dem typischen Amerikaner ergeht. Wenn das Einkommen von Bill Gates und Warren Buffett steigt, steigt auch das amerikanische Durchschnittseinkommen. Aufschlussreicher ist das mittlere Einkommen, also das Einkommen einer Familie genau in der Mitte der Einkommensverteilung. Und dieses Einkommen stagnierte in den letzten Jahren beziehungsweise sank.
Das UNDP (das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen) hat ein Standardmaß der »menschlichen Entwicklung« definiert, das Einkommen, Gesundheit und Bildung zusammenfasst. Anschließend werden diese Zahlen so bereinigt, dass sie die Ungleichheit widerspiegeln. Vor dieser Bereinigung standen die Vereinigten Staaten 2011 recht gut da: an vierter Stelle, hinter Norwegen, Australien und den Niederlanden. Aber unter Berücksichtigung der Ungleichheit rutschten die Vereinigten Staaten auf den 23. Platz, hinter alle europäischen Länder. Bei keinem anderen fortgeschrittenen Industrieland führt die Einbeziehung der Ungleichheit zu einer vergleichbaren Diskrepanz in der Platzierung.93 Alle skandinavischen Länder, die ihren Bürgern nicht nur Bildung für alle, sondern auch staatliche medizinische Versorgung bieten, rangieren weit vor den Vereinigten Staaten. Das mantra-artig wiederholte Dogma in den Vereinigten Staaten lautet dagegen, dass die zur Finanzierung dieser Leistungen notwendigen Steuern das Wachstum drosseln. Von wegen! Zwischen 2000 und 2010 wuchs beispielsweise das Hochsteuerland Schweden viel schneller als die Vereinigten Staaten: im Schnitt jährlich um 2,31 Prozent, in den Vereinigten Staaten dagegen nur um 1,85 Prozent.94
Ein ehemaliger Finanzminister aus dem skandinavischen Raum sagte mir einmal: »Wir sind deshalb so schnell gewachsen und stehen deshalb so gut da, weil wir hohe Steuern haben.« Natürlich meinte er nicht, dass die Steuern selbst zu höherem Wachstum führten, sondern dass sich damit öffentliche Ausgaben – Investitionen in Bildung, Technologie und Infrastruktur – finanzieren lassen, die wiederum das hohe Wachstum stützen. Mögliche negative Effekte einer höheren Besteuerung werden dadurch mehr als wettgemacht.