Corporate Governance
Die Politik ist – insbesondere, was die Gestaltung des Rechtsrahmens von Unternehmen angeht – ein wesentlicher Bestimmungsfaktor dafür, welchen Anteil am Gewinn eines Unternehmens dessen Spitzenmanager für sich selbst beanspruchen können. US-Gesetze gestehen ihnen hier erhebliche Entscheidungsspielräume zu. Dies bedeutet, dass sich Führungskräfte in den Vereinigten Staaten leichter auf Kosten von Arbeitnehmern und Aktionären bereichern können als Manager in anderen Ländern, wenn sich soziale Einstellungen so verändern, dass große Lohn- und Gehaltsunterschiede akzeptabel werden.
Ein erheblicher Teil des US-amerikanischen Sozialprodukts wird von börsennotierten Gesellschaften erwirtschaftet. Aktiengesellschaften haben vielfältige Vorteile – Rechtsschutz durch ihre beschränkte Haftung,36 Größenvorteile, oftmals ein langjähriger guter Ruf –, die es ihnen erlauben, Erträge zu erzielen, die höher sind als das, was sie ansonsten zahlen müssten, um sich Kapital zu beschaffen. Wir nennen diese Überrenditen »Unternehmensrenten«, und die Frage ist, wie diese Renten zwischen den verschiedenen »Anspruchsgruppen« einer Aktiengesellschaft (insbesondere zwischen Arbeitnehmern, Anteilseignern und Management) aufgeteilt werden.
Bis Mitte der siebziger Jahre bestand ein breiter gesellschaftlicher Konsens: Leitende Angestellte wurden gut bezahlt, aber nicht fabelhaft; die Renten wurden hauptsächlich zwischen loyalen Arbeitnehmern und dem Management aufgeteilt. Die Aktionäre hatten nicht viel zu sagen. Das amerikanische Unternehmensgesetz ist sehr managerfreundlich. Es ist schwer für Aktionäre, die Vorgehensweise des Managements infrage zu stellen, schwer, eine Übernahmeschlacht erfolgreich durchzuziehen37 oder einen Stimmrechtskampf zur Erlangung der Stimmrechtsmehrheit anzuzetteln. Im Lauf der Jahre lernten Manager, sich zu verschanzen und ihre Interessen zu schützen. Sie können dies auf vielfältige Weise tun, etwa indem sie Investitionen in einen Schleier der Ungewissheit hüllen, dadurch den Wert des Unternehmens weniger kalkulierbar und eine Übernahmeschlacht viel riskanter machen; durch »Giftpillen«, die den Wert des Unternehmens im Falle einer Übernahme mindern; und durch »goldene Fallschirme«, die ihnen ein sorgenfreies Leben garantieren, sollte die Firma übernommen werden.38
In den achtziger und neunziger Jahren erkannten die Topmanager allmählich, dass die Maßnahmen zur Abwehr äußerer Angriffe in Verbindung mit schwindender Gewerkschaftsmacht auch bedeuteten, dass sie sich ungestraft einen größeren Teil der Unternehmensrenten in die Tasche stecken konnten. Sogar einige führende Finanzkapitalisten räumen ein, dass »die Art, wie die Vergütung von Führungskräften in unserem zutiefst mangelhaften System der Corporate Governance festgelegt wird, zu stark überzogenen Vorstandsvergütungen geführt hat«.39
Normen dessen, was als »gerecht« galt, änderten sich ebenfalls: Die Führungskräfte zögerten nicht, sich ein größeres Stück vom Unternehmenskuchen zu nehmen und sich selbst erkleckliche Sümmchen zuzuschanzen, während sie zugleich beteuerten, sie müssten Mitarbeiter entlassen und Löhne senken, um das Unternehmen am Leben zu halten. In manchen Kreisen hatten sich diese schizophrenen Einstellungen zu »Fairness« so tief eingeprägt, dass ein Mitglied der Regierung Obama zu Beginn der Großen Rezession ohne rot zu werden sagen konnte, wegen der Unantastbarkeit von Verträgen müssten die vom Versicherer AIG zugesagten Boni ausgezahlt werden – selbst den Managern, die das Unternehmen überhaupt erst in die Lage gebracht hatten, dass es mit öffentlichen Geldern in Höhe von 150 Milliarden Dollar gerettet werden musste –, nur um Minuten später die Arbeiter in der Automobilindustrie zu ermahnen, einer Abänderung ihrer Verträge zuzustimmen, die ihnen enorme Lohneinbußen beschert hätte.
Andere Corporate-Governance-Gesetze oder allein geringfügige Modifikationen, etwa stärkere Mitspracherechte der Aktionäre bei der Vorstandsvergütung,40 hätten den ungezügelten Selbstbedienungseifer der Topmanager vielleicht gemäßigt, aber das obere eine Prozent wollte – und will – solche Reformen nicht, selbst wenn sie die Wirtschaft effizienter machen würden. Und sie machen ihren politischen Einfluss geltend, damit es nicht zu solchen Reformen kommt.
Die Schwächung der Gewerkschaften und des gesellschaftlichen Zusammenhalts hat in Verbindung mit Corporate-Governance-Gesetzen, die dem Management sehr große Spielräume bei der Leitung des Unternehmens zu ihrem eigenen Vorteil lassen, nicht nur zu einer rückläufigen Lohnquote (prozentualer Anteil des Arbeitnehmerentgelts am Volkseinkommen) geführt, sondern auch die Art und Weise verändert, wie unsere Wirtschaft auf eine Abkühlung der Konjunktur reagiert. In einer Rezession haben die Arbeitgeber früher möglichst viele ihrer Mitarbeiter behalten, da sie sich deren Loyalität und Fachkompetenz sichern wollten und ihnen an deren Wohl gelegen war. Die Folge war, dass die Arbeitsproduktivität sank, während die Lohnquote stieg. Die Gewinne trugen die Hauptlast der konjunkturellen Abschwächung. Nach dem Ende einer Rezession ging die Lohnquote zurück. Aber in dieser und der vorherigen Rezession (2001) änderte sich das Muster: Die Lohnquote ging in der Rezession und in den Folgejahren zurück. Die Unternehmen rühmten sich hingegen ihrer Rücksichtslosigkeit – sie entließen so viele Mitarbeiter, dass die Produktivität tatsächlich anstieg.41