Es geht um viel
Dieses Buch handelt von der Frage, weshalb das amerikanische Wirtschaftssystem aus Sicht der meisten Amerikaner versagt, warum die Ungleichheit so stark zunimmt und welche Folgen dies hat. Dabei gehe ich von der These aus, dass wir US-Bürger einen hohen Preis für unsere Ungleichheit zahlen – durch ein Wirtschaftssystem, das weniger stabil, effizient und wachstumsfähig ist, als es sein könnte, und durch Bedrohungen für unsere Demokratie. Aber es steht sogar noch mehr auf dem Spiel: Da sich unser Wirtschaftssystem nach Ansicht der meisten Bürger offenbar nicht bewährt und unser politisches System von Finanzinteressen beherrscht zu sein scheint, wird das Vertrauen in unsere Demokratie und in unsere Marktwirtschaft zusammen mit unserem globalen Einfluss schwinden. In dem Maße, wie uns bewusst wird, dass wir kein Land der unbegrenzten Möglichkeiten mehr sind und dass sogar unsere vielgepriesene rechtsstaatliche Ordnung und das Justizsystem in Misskredit geraten sind, scheint sogar unser nationales Identitätsgefühl in Gefahr zu sein. In einigen Ländern ist die Occupy-Wall-Street-Bewegung eng mit der Bewegung der Globalisierungsgegner verbunden. Sie haben eine Reihe von Gemeinsamkeiten: Sie teilen die Überzeugung, dass etwas im Argen liegt, aber auch die, dass Veränderung möglich ist. Das Problem ist jedoch nicht die Globalisierung an sich, sondern vielmehr die Tatsache, dass die Regierungen sie schlecht und einseitig gestalten, indem sie vor allem Sonderinteressen davon profitieren lassen. Die enge und weltweite Verflechtung von Völkern, Ländern und Volkswirtschaften ist eine Entwicklung, die genauso effektiv zur Förderung des allgemeinen Wohlstandes wie zur Verbreitung von Gier und Elend genutzt werden kann. Das Gleiche gilt für die Marktwirtschaft: Die Märkte verfügen über enorme Macht, aber nicht per se über Moral. Wir müssen entscheiden, wie wir sie nutzen und steuern wollen. Die Märkte waren wesentlich an den erstaunlichen Produktivitäts- und Lebensstandardsteigerungen der letzten zweihundert Jahre beteiligt – Verbesserungen, die weit über das hinausgehen, was in den zweitausend Jahren zuvor erreicht wurde. Doch der Staat hat bei diesen Fortschritten ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt, was Anhänger der freien Marktwirtschaft gern übersehen. Märkte können auch Vermögen konzentrieren, Umweltkosten auf die Allgemeinheit abwälzen und Arbeitnehmer und Verbraucher ausbeuten beziehungsweise übervorteilen. Aus all diesen Gründen ist klar, dass Märkte gezähmt und gezügelt werden müssen, um sicherzustellen, dass sie dem Gemeinwohl – dem Nutzen der meisten Bürger – dienen. Und diese Bändigung muss immer wieder aufs Neue erfolgen, damit die Bindung an das Gemeinwohl langfristig gewährleistet wird. In den Vereinigten Staaten geschah dies erstmals in der sogenannten Progressive Era von 1890 bis in die zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts mit der Verabschiedung der Wettbewerbsgesetze. Und es geschah während des sogenannten New Deal, als die staatliche Rentenversicherung, Reformen im Arbeits- und Sozialrecht und Mindestlohngesetze eingeführt wurden. Die Botschaft der Occupy-Wall-Street-Bewegung und vieler anderer Demonstranten weltweit lautet, dass die Märkte wieder einmal gezähmt und gezügelt werden müssen. Dies nicht zu tun, hätte gravierende Folgen: In einer Demokratie, die diesen Namen verdient und in der die Stimmen der gewöhnlichen Bürger gehört werden, können wir kein offenes und globalisiertes Marktsystem aufrechterhalten, zumindest nicht in der Form, in der wir es kennen, wenn dieses System den Bürgern Jahr für Jahr Einbußen beschert. Die eine oder die andere Seite wird nachgeben müssen – entweder unsere Politik oder unsere Wirtschaft.