Das Opfer ist schuld
Ein weiterer Mythos lautet, die Armen hätten sich ihre Misere selbst zuzuschreiben. Die Arbeitslosen hätten deshalb keine Arbeit, weil sie faul seien. Sie hätten sich bei der Suche nicht genügend angestrengt.37 Anhänger dieser Ideen wenden gegenüber dem Vorschlag, die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds zu verlängern, ein, dies stelle eine »sittliche Gefährdung« – ein moral hazard – dar. Wenn man Arbeitslosen Versicherungsschutz gewähre, verringere man ihre Anreize zur Arbeitssuche, was wiederum zu höherer Arbeitslosigkeit führe. Die Frage, ob diese Behauptungen zutreffen, wenn im Grunde Vollbeschäftigung herrscht, braucht uns hier nicht zu interessieren. Wenn auf jede freie Stelle vier Bewerber kommen, sollte es offensichtlich sein, dass das Problem nicht die mangelnde Zahl von Stellenbewerbern, sondern der Mangel an Stellen ist.38 Würen mehr Menschen Arbeit suchen, gäbe es noch mehr Bewerber für die wenigen freien Stellen. Der Beschäftigungsgrad bliebe davon weitgehend unberührt.39
Notenbanker (und andere Konservative) behaupten üblicherweise, nicht sie hätten dabei versagt, die Gesamtnachfrage so zu steuern, dass die Konjunkturlokomotive weiterhin in voller Fahrt dahindampft. Vielmehr schieben sie die Schuld auf andere, insbesondere auf die Arbeitnehmer, die angeblich ein Übermaß an Arbeitsplatzsicherheit und zu hohe Löhne verlangten und dadurch die Funktionstüchtigkeit des Arbeitsmarkts unterminierten. Die Krise offenbarte, dass ihre Ansichten über den Arbeitsmarkt völlig verfehlt waren: Die Vereinigten Staaten, die angeblich den flexibelsten Arbeitsmarkt überhaupt haben, standen viel schlechter da als Länder mit strengerem Kündigungsschutz (wie Schweden und Deutschland).40 Und der Grund dafür liegt auf der Hand: Lohnkürzungen senken die Gesamtnachfrage und vertiefen die Rezession.