Abnahme der öffentlichen Investitionen
Das gegenwärtige ökonomische Kredo betont die Rolle des Privatsektors als Motor des Wirtschaftswachstums. Es ist leicht zu ersehen, weshalb: Wenn wir an Innovationen denken, denken wir an Apple, Facebook, Google und eine Vielzahl weiterer Unternehmen, die unser Leben verändert haben. Aber hinter den Kulissen arbeitet der öffentliche Sektor, von dessen Leistungsfähigkeit der Erfolg dieser Firmen und sogar die Lebensfähigkeit unserer gesamten Volkswirtschaft in hohem Maße abhängen. Schöpferische Jungunternehmer gibt es auf der ganzen Welt. Ob sie ihre Ideen jedoch verwirklichen und neue Produkte auf den Markt bringen können, hängt vom jeweiligen Staat ab.
Zum einen legt der Staat die Spielregeln fest. Er verschafft dem Recht Geltung. Allgemeiner gesagt, stellt er die weiche wie die harte Infrastruktur bereit, ohne die eine Gesellschaft und eine Wirtschaft nicht funktionsfähig sind. Wenn der Staat keine Verkehrswege, Häfen, Bildungseinrichtungen oder Grundlagenforschung finanziert – oder dafür sorgt, dass jemand anders es tut, oder zumindest die Voraussetzungen dafür schafft, dass jemand anders es tun könnte –, dann können Unternehmen nicht florieren. Ökonomen nennen solche Investitionen »öffentliche Güter«, ein Fachterminus, der auf die Tatsache verweist, dass die gesamte Gesellschaft beispielsweise von den Erkenntnissen der Grundlagenforschung profitiert.
Eine moderne Gesellschaft erfordert gemeinschaftliches Handeln. Ohne dass alle Bürger an einem Strang ziehen, sind solche Investitionen nicht zu tätigen. Die daraus erwachsenden Gemeinwohleffekte vermag kein privater Investor für sich zu nutzen, und aus diesem Grund führt es zu Unterinvestition, wenn man die Bereitstellung öffentlicher Güter dem Markt überlässt.
Die Vereinigten Staaten und die Welt haben enorm von öffentlich finanzierter Forschung profitiert. In früheren Jahrzehnten trugen Forschungen, die von unseren staatlichen Universitäten und landwirtschaftlichen Beratungsdiensten durchgeführt wurden, im Agrarsektor zu massiven Produktivitätszuwächsen bei.20 Die heutige Revolution in der Informationstechnologie und die modernen Fortschritte in der Biotechnologie verdanken sich teilweise ebenfalls öffentlich finanzierten Forschungsvorhaben.
Seit etlichen Jahrzehnten leiden die USA unter den Folgen zu geringer Investitionen in die Infrastruktur, die Grundlagenforschung und das Bildungswesen. Angesichts des erklärten Willens von Republikanern wie Demokraten, das Defizit abzubauen, und der Weigerung des Repräsentantenhauses, die Steuern zu erhöhen, sind weitere Kürzungen in diesen Bereichen absehbar – und zwar trotz der eindeutigen Belege dafür, dass der gesamtwirtschaftliche Nutzen dieser Investitionen die durchschnittlich im Privatsektor erzielte Rendite und zweifellos auch die staatlichen Kapitalbeschaffungskosten weit übertrifft.21 Tatsächlich erhielt der Boom der neunziger Jahre durch Erfindungen der Vorgängerjahrzehnte Auftrieb, die schließlich von unserer Wirtschaft umgesetzt wurden. Der Brunnen, aus dem die Privatwirtschaft – für die nächste Generation transformativer Investitionen – schöpfen kann, trocknet jedoch aus. Innovative Anwendungen sind auf Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung angewiesen, und diese haben wir einfach nicht ausreichend betrieben.22
Die Tatsache, dass wir diese entscheidenden öffentlichen Investitionen nicht getätigt haben, sollte uns nicht überraschen. Sie ist das Resultat einer unausgewogenen Vermögensverteilung. Je mehr sich die Gewichte in dieser Hinsicht in einer Gesellschaft verschieben, desto weniger sind die Reichen gewillt, Geld für die Bedürfnisse der Allgemeinheit auszugeben. Die Reichen sind für Parks, gute Bildungschancen, medizinische Versorgung oder persönliche Sicherheit nicht auf den Staat angewiesen. Sie können sich all diese Dinge selbst leisten. Dadurch entfernen sie sich immer weiter von der Durchschnittsbevölkerung.
Die Reichen fürchten zudem einen starken Staat – einen, der seine Macht dazu nutzt, die Ungleichgewichte in unserer Gesellschaft zu korrigieren, indem er ihnen einen Teil ihres Vermögens wegnimmt und es für öffentliche Investitionen verwendet, die dem Gemeinwohl dienen oder den Bedürftigen helfen. Während sich die reichsten Amerikaner vermutlich über die jetzige Regierung beklagen würden, dürfte sie ihnen in Wahrheit gerade recht sein: Die parteipolitische Blockade geht so weit, dass jedwede Umverteilung von oben nach unten ausgeschlossen ist, die politischen Lager sind so gespalten, dass sie außer Steuersenkungen nichts zuwege bringen.