Das Ende der Chancengleichheit
Unsere unzureichenden Investitionen in öffentliche Güter einschließlich des öffentlichen Bildungswesens haben zu dem Rückgang der ökonomischen Mobilität beigetragen, von dem in Kapitel 1 die Rede war. Dies wiederum hat weitreichende Konsequenzen für das Wachstum und die Effizienz unserer Volkswirtschaft. Immer wenn wir Chancengleichheit abbauen, nutzen wir eine unserer wertvollsten Ressourcen – unsere Menschen – nicht so produktiv, wie es möglich wäre.
Wir haben bereits gesehen, dass die Aussichten auf eine gute Ausbildung für Kinder aus Familien mit niedrigem oder mittlerem Einkommen sehr viel schlechter sind als für Kinder aus reichem Hause. Das Einkommen der Eltern wird immer wichtiger, da die Studiengebühren viel schneller steigen als die Einkommen, insbesondere an staatlichen Colleges, an denen 70 Prozent der Amerikaner ihre Ausbildung erhalten. Aber, so könnte man fragen, wird diese Lücke denn nicht durch erweiterte Darlehensprogramme für Studierende gefüllt? Die Antwort lautet leider: nein. Und wieder trägt der Finanzsektor daran keine geringe Schuld. Momentan zeichnet sich der Markt durch eine Reihe von Fehlanreizen aus, die im Verbund mit fehlenden Rechtsvorschriften gegen Missbrauch bewirken, dass die Darlehensprogramme für Studierende die Chancen der Mittellosen nicht verbessern, sondern im Gegenteil oft zu deren weiterer Verelendung beitragen. Der Finanzsektor erreichte nämlich, dass Studentendarlehen im Fall einer Privatinsolvenz von der Entschuldung ausgenommen werden: die Kreditgeber haben daher kaum Anreize sicherzustellen, dass die Hochschulen, für deren Besuch die Studenten Kredite aufnehmen, ihnen tatsächlich eine Ausbildung bieten, die ihnen später ein hohes Einkommen sichert. Unterdessen vereitelten gewinnorientierte private Hochschulen mit hoch bezahlten Führungskräften jegliche Versuche, höhere Standards durchzusetzen; damit hätten Hochschulen, die die sozial Schwachen und schlecht Informierten ausbeuten – indem sie ihr Geld nehmen, ohne ihnen eine Ausbildung angedeihen zu lassen, die sie in die Lage versetzte, die Kredite später aus ihrem Arbeitseinkommen problemlos zurückzuzahlen –, keinen Anspruch auf Kreditgewährung mehr gehabt.23 Es ist vollkommen verständlich, dass ein junger Mensch, der sieht, wie die Schuldenlast das Leben seiner Eltern ruiniert, nur widerwillig ein Studentendarlehen aufnimmt. Tatsächlich ist es bemerkenswert, dass so viele es dennoch tun, mit der Folge, dass der durchschnittliche Uni-Absolvent heute mehr als 25 000 Dollar Schulden hat.24
Womöglich spielt bei der Abnahme der sozialen Mobilität, die sich langfristig negativ auf die Produktivität der USA auswirkt, noch ein weiterer Faktor eine Rolle. Aus Studien über den Bildungserfolg geht hervor, wie wichtig die Förderung im Elternhaus ist. Die Bezieher mittlerer und niedriger Einkommen müssen sich ihren Lebensunterhalt hart verdienen und immer mehr arbeiten, um über die Runden zu kommen. Dadurch bleibt für die Familie – und die Beaufsichtigung der Hausaufgaben – immer weniger Zeit. Familien müssen Kompromisse eingehen, und das betrifft auch die Investitionen in ihre Kinder (obwohl sie das vermutlich nicht so ausdrücken würden).