Diskriminierung

Ein weiterer wichtiger gesellschaftlicher Faktor ist für die Entstehung von Gleichheitsgefällen von Bedeutung. Große Gruppen der amerikanischen Gesellschaft – Frauen, Afroamerikaner und Latinos – werden ökonomisch diskriminiert. Das große Ausmaß der Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen ist bei all diesen Gruppen unübersehbar. Die Löhne von Frauen, Afroamerikanern und Latinos sind alle deutlich niedriger als die von weißen Männern.42 Unterschiede im Bildungsniveau (oder in anderen Merkmalen) erklären die Disparität zum Teil, aber eben nur zum Teil.43

Einige Ökonomen haben behauptet, in einer Marktwirtschaft könne es keine Diskriminierung geben.44 Solange es in einer Wettbewerbswirtschaft Einzelne gebe, die keine rassischen (oder geschlechtsbezogenen oder ethnischen) Vorurteile hegten, so die Theorie, würden sie Mitglieder der diskriminierten Gruppe einstellen, weil deren Löhne niedriger seien als die ähnlich qualifizierter Mitglieder der nicht diskriminierten Gruppe. Dieser Prozess gehe so lange weiter, bis die Lohn-/Einkommensdiskriminierung beseitigt sei. Vorurteile könnten zur räumlichen Trennung von Arbeitsplätzen, nicht aber zu Einkommensunterschieden führen. Dass solche Argumentationen in der ökonomischen Zunft überhaupt Widerhall fanden, sagt eine Menge über das Fachgebiet aus. Für einen Ökonomen wie mich, der in einer Stadt und einer Gegend aufwuchs, wo Diskriminierung offensichtlich war, stellten solche Argumente eine Herausforderung dar: Mit einer Theorie, die behauptete, Diskriminierung könne es nicht geben, stimmte etwas nicht. In den vergangenen vierzig Jahren wurden etliche Theorien entwickelt, die erklären, warum Diskriminierung fortbesteht.45

Spieltheoretische Modelle beispielsweise haben gezeigt, wie mithilfe stillschweigender, geheimer Absprachen innerhalb einer dominanten Gruppe (Weiße, Männer) die ökonomischen Interessen einer anderen Gruppe unterdrückt werden können. Wer mit dem diskriminierenden Verhalten bricht, wird bestraft: Andere weigern sich, im Laden der Betroffenen einzukaufen, für sie zu arbeiten, sie zu beliefern; soziale Sanktionen wie Ächtung können ebenfalls wirksam sein. Wer die Regelverstöße nicht ahndet, wird in gleicher Weise bestraft.46

Ähnliche Forschungen haben gezeigt, wie andere Mechanismen (die mit unvollkommener Information zusammenhängen) selbst in einer Wettbewerbswirtschaft zu diskriminierenden Gleichgewichten führen können. Wenn sich die wahre Leistungsfähigkeit eines Menschen und die Qualität seiner Ausbildung nur schwer beurteilen lassen, orientieren sich Arbeitgeber vielleicht daran, welcher Rasse, Ethnie oder welchem Geschlecht die Person angehört – ob dies gerechtfertigt ist oder nicht. Wenn Arbeitgeber glauben, dass die Angehörigen einer bestimmten Gruppe (Frauen, Latinos, Afroamerikaner) weniger produktiv sind, zahlen sie ihnen niedrigere Löhne. Die Diskriminierung hat zur Folge, dass die Mitglieder der Gruppe geringere Anreize haben, Investitionen zu tätigen, die ihre Produktivität steigern würden. Die Überzeugungen bestätigen sich selbst. Dies wird manchmal auch statistische Diskriminierung genannt – allerdings in einer besonderen Form, bei der die Diskriminierung überhaupt erst die Unterschiede hervorbringt, die angeblich zwischen den Gruppen existieren.47

In den gerade skizzierten Theorien der Diskriminierung diskriminieren Menschen bewusst. Unlängst haben Ökonomen eine weitere Triebfeder diskriminierenden Verhaltens beschrieben: »implizite Diskriminierung«, deren sich die Diskriminierenden nicht bewusst sind und die dem widerspricht, was sie (explizit) denken oder für ihre organisation als wünschenswert erachten.48 Psychologen haben gelernt, implizite Einstellungen (Einstellungen, deren sich der Einzelne nicht bewusst ist) zu messen. Es gibt erste Hinweise darauf, dass diese Einstellungen diskriminierendes Verhalten besser vorhersagen als explizite Einstellungen, insbesondere wenn die Betreffenden unter Zeitdruck stehen. Diese Befunde lassen Studien, die systematische rassische Diskriminierung nachgewiesen haben, in einem neuen Licht erscheinen.49 Dies hängt damit zusammen, dass viele Entscheidungen in der realen Welt, etwa Stellenbesetzungen, oft unter Zeitdruck auf der Basis uneindeutiger Informationen getroffen werden müssen – Bedingungen, die der impliziten Diskriminierung Tür und Tor öffnen.

Ein bemerkenswertes Beispiel ist die stigmatisierende Wirkung von Vorstrafen, wie sie die Soziologin Devah Pager in einer Studie untersucht hat.50 In ihrer Feldstudie bewarben sich »statistische Zwillingspaare« (Paare von Personen, die in vielen Merkmalen übereinstimmen) von 23-Jährigen um reale Stellen für Berufseinsteiger, um zu testen, in welchem Ausmaß sich eine Vorstrafe (ein Rauschgiftdelikt ohne Körperverletzung) auf die späteren Beschäftigungschancen auswirkt. Alle Teilnehmer besaßen weitgehend gleiche Bewerbungsunterlagen, etwa ein Highschoolzeugnis, so dass Unterschiede im Bewerbungserfolg auf die Rassenzugehörigkeit oder den Vorstrafenstatus zurückgeführt werden konnten. Nach der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch wurden nicht vorbestrafte Weiße im Vergleich zu vorbestraften Weißen im Verhältnis 2 zu 1 zurückgerufen, bei Schwarzen betrug das Verhältnis fast 3 zu 1. Und ein weißer Mann mit Vorstrafe hat eine geringfügig höhere Chance, für eine Stelle in Betracht gezogen zu werden, als ein schwarzer Mann ohne Vorstrafe. Das bedeutet, dass eine schwarze Hautfarbe im Schnitt die Beschäftigungschancen erheblich vermindert, und dies gilt noch stärker für Vorbestrafte.

Diese Effekte können für schwarze Männer, die versuchen, sich ökonomisch auf eigene Füße zu stellen, große Hindernisse darstellen, da ungefähr jeder dritte männliche Afroamerikaner im Lauf seines Lebens zu einer Haftstrafe verurteilt wird.

Es gibt starke Wechselwirkungen zwischen Armut, Rasse und Politik. Wenn bestimmte Minderheiten in überproportionalem Maße von Armut betroffen sind und wenn die Leistungen des staatlichen Bildungs-und Gesundheitswesens für die Armen mangelhaft sind, dann werden Mitglieder dieser Minderheiten auch in überproportionalem Maße unter unzureichender Ausbildung und einem schlechten Gesundheitszustand zu leiden haben. Die Gesundheitsstatistiken sind in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich: Die Lebenserwartung betrug im Geburtsjahr 2009 für Schwarze 74,3 Jahre gegenüber 78,6 Jahren für Weiße.51

Wie wir in Kapitel 1 sahen, hat die Große Rezession jene Gruppen, die traditionell diskriminiert werden, besonders schwer getroffen. Die Banken betrachteten sie als leichte Beute, weil sie sozial aufsteigen wollten; der Besitz eines Hauses war ein Zeichen dafür, dass sie es in die Mittelschicht geschafft hatten. Skrupellose Immobilienverkäufer drängten Haushalten Hypothekendarlehen auf, die sie nicht zurückzahlen konnten, die nicht auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten und mit hohen Transaktionskosten verbunden waren.

Heute hat ein hoher Prozentsatz dieser Bevölkerungsgruppen nicht nur seine Immobilie, sondern auch seine Lebensersparnisse verloren. Die Daten, die zeigen, was mit ihrem Vermögen passiert ist, sind wirklich verstörend: Nach der Krise besaß der typische schwarze Haushalt ein Reinvermögen von nur 5677 Dollar; das entspricht einem Zwanzigstel dessen, was ein typischer weißer Haushalt sein eigen nennt.52

Unser Wirtschaftssystem belohnt Gewinne, ganz gleich, wie sie zustande kommen, und dass in einer auf Geld fixierten Wirtschaft moralische Bedenken beiseitegeschoben werden, ist nicht weiter verwunderlich. Manchmal zieht unser System diejenigen, die sich moralisch verwerflich verhalten haben, zur Rechenschaft, wenn auch erst nach einem langen und teuren Rechtsstreit. Aber selbst dann ist nicht immer sicher, ob die Geldstrafen mehr als nur einen Teil der Gewinne abschöpfen, die die Banken mit ihren skrupellosen Geschäftspraktiken verdient haben. In diesem Fall zahlen sich selbst für diejenigen, die bestraft werden, Verbrechen aus.53 Im Dezember 2011, vier bis sieben Jahre nach der Vergabe riskanter Hypothekendarlehen (an Schuldner niedriger Bonität), erklärte sich die Bank of America bereit, im Rahmen eines Vergleichs 335 Millionen Dollar wegen ihrer Afroamerikaner und Latinos diskriminierenden Praktiken zu zahlen, die höchste Vergleichssumme, die jemals wegen unlauterer Baufinanzierungspraktiken gezahlt wurde. Wells Fargo und anderen Kreditgebern wurden in ähnlicher Weise diskriminierende Praktiken vorgeworfen; Wells Fargo, das größte US-Hypothekendarlehensinstitut, zahlte im Rahmen einer Vergleichsvereinbarung 85 Millionen Dollar an die US-Notenbank. Kurzum, die Diskriminierung bei der Kreditvergabe war nicht auf Einzelfälle beschränkt, sondern eine weit verbreitete Praxis.

Diskriminierung bei der Kreditvergabe und beim Wohnungsbau hat folglich dazu beigetragen, den Lebensstandard von Afroamerikanern zu senken und ihr Vermögen zu schmälern, und dies hat die bereits erörterten Diskriminierungseffekte am Arbeitsmarkt weiter verschärft.

Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht
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