Rückkehr zur Vollbeschäftigung
Eine Fiskalpolitik zur Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung – unter Berücksichtigung einer gerechteren Verteilung. Vollbeschäftigung ist das wirtschaftspolitische Ziel, das besonders weitreichende Folgen für das Allgemeinwohl und Verteilungsfragen hat. Wenn die Vereinigten Staaten nicht aufpassen, mag es ihnen so ähnlich ergehen wie einigen europäischen Ländern, in denen die Arbeitslosigkeit dauerhaft hoch ist – eine gigantische Verschwendung von Ressourcen, die gleichzeitig die Ungleichheit noch verschärfen und sowohl unsere wirtschaftliche Situation als auch unsere Haushaltslage beeinträchtigen würde. Seit 75 Jahren wissen wir, was getan werden muss, um Vollbeschäftigung oder annähernde Vollbeschäftigung aufrechtzuerhalten. In Kapitel 8 wurde erläutert, wie sich durch eine klug durchdachte Makropolitik drei Ziele gleichzeitig verwirklichen lassen: die Senkung von Verschuldung und Defiziten, ein beschleunigtes Wachstum mit einem hohen Grad an Beschäftigung sowie eine gerechtere Einkommensverteilung.
Eine Geldpolitik im Dienst der Vollbeschäftigung. Historisch betrachtet, hat man zur kurzfristigen Stabilisierung stärker auf die Geldpolitik als auf die Fiskalpolitik zurückgegriffen, und zwar einfach deshalb, weil man diese schneller an veränderte Umstände anpassen kann. Aber unzureichende Steuerungs- und Kontrollmechanismen und mangelhafte ökonomische Modelle führen zu einem massiven Versagen der Geldpolitik. Im Kapitel 9 ging es um die notwendigen Korrekturen bei den theoretischen Modellen, den Governance-Strukturen und der geldpolitischen Strategie: um eine in höherem Maße rechenschaftspflichtige und am Gemeinwohl orientierte Zentralbank und den Wechsel von einer allzu einseitigen Fokussierung auf die Inflation hin zu einer umfassenderen Ausrichtung auf die Ziele Vollbeschäftigung, Wachstum und Stabilität des Finanzsektors.
Ungleichgewichte in der Handelsbilanz beseitigen. Die Gesamtnachfrage in den USA ist unter anderem deshalb so schwach, weil die Vereinigten Staaten viel mehr importieren als exportieren – ihr Importüberschuss beläuft sich auf über 500 Milliarden Dollar pro Jahr.14 Während Exporte Arbeitsplätze schaffen, vernichten Importe Arbeitsplätze; und die USA haben mehr Arbeitsplätze zerstört als neue geschaffen. Eine Zeitlang, ziemlich lange, wurde die Differenz durch Staatsausgaben (Defizite) ausgeglichen, so dass die Vereinigten Staaten trotz der Lücke Vollbeschäftigung aufrechterhalten konnten. Doch wie lange können wir uns in diesem Tempo weiterverschulden? Wie ich in Kapitel 8 darlegte, übertrifft der Nutzen von Krediten, insbesondere für Investitionen mit hoher Rendite, noch immer bei Weitem die Kosten; aber irgendwann in der Zukunft, vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft, ist dies eventuell nicht mehr der Fall. Jedenfalls erschwert das heftige parteipolitische Gezerre in den Vereinigten Staaten die Fortführung der Defizite, selbst wenn sie zur Finanzierung von Investitionen aufgewendet werden. Wenn dieser Zustand andauert und unser Handelsbilanzdefizit fortbesteht, wird Vollbeschäftigung praktisch unerreichbar.15 Angesichts einer alternden Bevölkerung sollten die USA zudem für die Zukunft sparen und nicht über ihre Verhältnisse leben.
Aus globaler Perspektive gibt es noch einen weiteren Grund dafür, unausgeglichene Handelsbilanzen zu korrigieren – die große Kluft zwischen Einfuhren und Ausfuhren (Defizite im Fall der Vereinigten Staaten, Überschüsse im Fall von China, Deutschland und Saudi-Arabien) ist seit Langem ein Anlass zur Sorge. Diese Ungleichgewichte (oder, genauer gesagt, eine »ungeordnete Korrektur« dieser Ungleichgewichte, wenn Märkte zu der Überzeugung gelangen, dass diese langfristig nicht tragfähig sind, und es zu einer jähen Korrektur der Wechselkurse kommt) mögen nicht die Ursache der letzten Großen Rezession gewesen sein, aber sie könnten durchaus die Ursache der nächsten sein.
Es hat sich als außerordentlich schwierig erwiesen, eine unausgewogene Handelsbilanz wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Die Vereinigten Staaten haben es mit einem Abwertungswettlauf probiert – indem sie ihre Leitzinsen unter die Zinssätze ihrer Konkurrenten senkten, was eine Abwertung der Währung zur Folge hat. Ich habe die Wechselkurse mit einem negativen Schönheitswettbewerb verglichen: So hässlich das parteipolitische Gezänk und die Wirtschaftspolitik in den USA auch sind, scheint uns Europa doch noch zu »übertreffen«, mit der Folge, dass die Handelsungleichgewichte fortbestehen.16
Wechselkurse werden weitgehend von Kapitalflüssen bestimmt, und das Finanzkapital schenkt den Folgen dieser Bewegungen wenig Beachtung: Wenn Kapital in den Vereinigten Staaten einen sicheren Hafen sucht, wird der Dollar aufgewertet, so dass der Export leidet, während der Import angekurbelt wird, das Handelsbilanzdefizit steigt und Arbeitsplätze verloren gehen. Aber selbst wenn der Lebensunterhalt der Arbeitnehmer bedroht ist, haben die Finanziers das Gefühl, ihr Kapital sei hier besser als anderswo aufgehoben. Das ist die Folge der Selbstentfaltung von Marktkräften – allerdings in einem Ordnungsrahmen, der freie Kapitalbewegungen ohne jede Einschränkung zulässt. Dies ist nur ein weiteres Beispiel dafür, dass das Wohl der Finanzmärkte über die Interessen der einfachen arbeitenden Menschen gestellt wird.
Es gibt eine Reihe interessanter Vorschläge, die für eine ausgeglichene Handelsbilanz sorgen und helfen würden, wieder Vollbeschäftigung herzustellen. Allerdings würden einige der Reformen womöglich gegen geltende Regeln der Globalisierung verstoßen – Regeln, die überwiegend von Fachjuristen ausgearbeitet werden, denen es vor allem darum geht, Hindernisse für die Geschäftstätigkeit bestimmter Wirtschaftszweige aus dem Weg zu räumen, und nicht darum, grundlegende, systemische Leistungsmängel zu beheben.17
Aktive Arbeitsmarktpolitik und eine bessere soziale Absicherung. Die US-Wirtschaft durchläuft einen tief greifenden Strukturwandel.18 Die Veränderungen im Gefolge der Globalisierung und des technischen Fortschritts erfordern, dass Arbeitnehmer in großem Umfang in andere Sektoren und auf andere Arbeitsplätze wechseln, und aus eigener Kraft bewerkstelligen die Märkte diese Transformationen nicht besonders gut. Um sicherzustellen, dass es bei diesem Prozess mehr Gewinner als Verlierer gibt, muss hier der Staat aktiv werden. Arbeitnehmer brauchen beim Wechsel von Arbeitsplätzen, die verloren gehen, auf neu geschaffene Stellen entschlossene Unterstützung; um dafür zu sorgen, dass die neuen Arbeitsplätze mindestens genauso gut sind wie diejenigen, die wegfallen, bedarf es hoher Investitionen in Bildung und Technik. Aktive Arbeitsmarktpolitik kann durchaus erfolgreich sein, aber natürlich nur dann, wenn es Stellen gibt, auf die freigesetzte Arbeitskräfte ausweichen können. Wenn es uns nicht gelingt, unser Finanzsystem so zu reformieren, dass es sich auf seine Kernaufgabe zurückbesinnt – die Finanzierung zukunftsträchtiger Existenzgründungen –, dann kann es nötig werden, dass der Staat Firmen bei Neugründung finanziell unter die Arme greift.