Einige persönliche Bemerkungen
Ich kehre mit diesem Buch zu einem Thema zurück, das mich vor fünfzig Jahren dazu veranlasste, Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Ich hatte mich am Amherst College zunächst für Physik eingeschrieben. Ich liebte die Eleganz der mathematischen Theorien, die unsere Welt beschreiben. Doch mit dem Herzen war ich bei anderen Dingen, bei den gesellschaftlichen und ökonomischen Umwälzungen der damaligen Zeit, der Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten und dem Kampf für Entwicklung und gegen Kolonialismus in den Weltgegenden, die damals »Dritte Welt« genannt wurden. Diese Sehnsucht wurzelte zum Teil in den Erfahrungen, die ich während meiner Kindheit im industriellen Kerngebiet Amerikas in Gary, Indiana, gemacht hatte. Dort hatte ich Ungleichheit, Diskriminierung, Arbeitslosigkeit und Rezessionen mit eigenen Augen gesehen. Als zehnjähriger Junge fragte ich mich, weshalb die freundliche Frau, die sich den größten Teil des Tages um mich kümmerte, in diesem scheinbar so wohlhabenden Land nach der sechsten Klasse von der Schule abgegangen war, und wunderte mich, dass sie sich um mich kümmerte und nicht um ihre eigenen Kinder. In einem Zeitalter, in dem die meisten Amerikaner in den Wirtschaftswissenschaften die Wissenschaft vom Geld sahen, war es für jemanden wie mich eher ungewöhnlich, sich für ein solches Studium zu entscheiden. Meine Familie war politisch aktiv, und man sagte mir, Geld sei nicht wichtig; man könne sich mit Geld kein Glück kaufen, wichtig seien vielmehr der Dienst am Nächsten und das geistige Leben. Doch als ich in den Wirren der sechziger Jahre in Amherst mit neuen Ideen in Kontakt kam, erkannte ich, dass die Wirtschaftswissenschaften sich keineswegs im Studium des Geldes erschöpften; tatsächlich stellten sie die Instrumente bereit, mit denen sich die fundamentalen Ursachen von Ungleichheit erforschen ließen – etwas, was meiner Neigung zu mathematischen Theorien sehr entgegenkam.
Hauptgegenstand meiner Doktorarbeit am Massachusetts Institute of Technology (MIT) war Ungleichheit, ihre Entwicklung über die Zeit und ihre Folgen für makroökonomisches Verhalten und insbesondere Wachstum. Ich griff einige Standardannahmen (des sogenannten neoklassischen Modells) heraus und wies nach, dass Individuen nach diesen Annahmen zur Gleichheit tendieren sollten.20 Es war klar, dass irgendetwas am Standardmodell nicht stimmen konnte, so wie es für mich, der in Gary aufgewachsen war, ohnehin klar war, dass mit einem Standardmodell, das behauptete, die Wirtschaft sei effizient und es gebe keine Arbeitslosigkeit oder Diskriminierung, etwas nicht stimmen konnte. Es war die Erkenntnis, dass das Standardmodell die Welt, in der wir lebten, nicht zutreffend beschrieb, die mich zur Suche nach alternativen Modellen veranlasste, bei denen Marktunvollkommenheiten und insbesondere Fälle unvollständiger Information sowie »Irrationalitäten« eine wichtige Rolle spielen sollten.21 In dem Maße, wie diese Ideen entwickelt wurden und in einigen Kreisen der Ökonomenzunft Verbreitung fanden, hat sich ironischerweise die entgegengesetzte Auffassung – wonach Märkte gut funktionieren beziehungsweise dies täten, wenn sich der Staat nur heraushielte – im öffentlichen Diskurs weitgehend durchgesetzt. Dieses Buch ist wie etliche seiner Vorgänger ein Versuch, die Dinge richtigzustellen.