Rent-Seeking

Ich habe Rent-Seeking bislang als Oberbegriff für viele verschiedene Mechanismen verwendet, mit denen unser gegenwärtiger politischer Prozess den Reichen auf Kosten von uns Übrigen hilft. Rent-Seeking nimmt viele Formen an: Mal geht es um verdeckte und offene staatliche Transferzahlungen und Subventionen, mal um Gesetze, die den Wettbewerb auf Märkten einschränken, dann wieder werden bestehende wettbewerbsrechtliche Normen nachlässig durchgesetzt, oder Unternehmen erhalten durch staatliche Regelungen den Freibrief, Verbraucher in unfairer Weise auszunutzen oder Kosten auf den Rest der Gesellschaft abzuwälzen. Das Wort »Rente« bezeichnete ursprünglich den Ertrag von Grundbesitz, da ein Grundeigentümer diese Zahlungen allein wegen seines Status als Eigentümer erhält und nicht für irgendetwas, das er tut. Dies steht etwa im Gegensatz zur Situation von Arbeitnehmern, deren Löhne das Entgelt für die von ihnen erbrachte Arbeitsleistung sind. Der Begriff wurde schrittweise erweitert, zunächst auf Monopolgewinne (beziehungsweise -renten), Einkommen also, das jemand nur deshalb erzielt, weil er ein Monopol kontrolliert, schließlich fielen auch die Erträge ähnlicher Eigentumsansprüche darunter. Wenn die Regierung einem Unternehmen das ausschließliche Recht zur Einfuhr einer begrenzten Menge (Quote) eines Gutes wie etwa Zucker übertrug, dann wurde der zusätzliche Ertrag, der aufgrund der Verfügungsgewalt über dieses Recht generiert wurde, »Quotenrente« genannt.

Rohstoffreiche Länder sind berüchtigt für Rent-Seeking-Aktivitäten. Es ist in diesen Ländern viel leichter, dadurch reich zu werden, dass man sich zu günstigen Bedingungen den Zugang zu Rohstoffen sichert, als dadurch, dass man echten Wohlstand schafft. Oft handelt es sich dabei um ein Negativsummenspiel, was mit dazu beiträgt, dass diese Länder im Schnitt langsamer gewachsen sind als vergleichbare, rohstoffarme Länder.14

Ein solcher Rohstoffreichtum, so könnte man denken, ließe sich leicht dazu nutzen, den Bedürftigen zu helfen und für alle den Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung sicherzustellen. Die Besteuerung von Arbeit und Ersparnissen kann zur Schwächung der entsprechenden Anreize führen; die Besteuerung von Grund-, Erdöl- oder anderen Rohstoff-»Renten« dagegen lässt diese nicht verschwinden. Die Ressourcen sind weiterhin da und können abgebaut werden, wenn nicht heute, dann morgen. Es gibt keine negativen Anreizeffekte. Dies bedeutet, dass es, grundsätzlich, reichlich Einnahmen geben sollte, um sowohl Sozialausgaben als auch öffentliche Investitionen etwa in das Gesundheits- und Bildungssystem zu finanzieren. Und doch gehören die rohstoffreichsten Länder zu den Ländern, in denen Einkommen und Vermögen besonders ungleich verteilt sind. Offensichtlich verstehen sich auch in diesen Ländern manche (im Allgemeinen diejenigen, die im Besitz der politischen Macht sind) besser auf Rent-Seeking als andere, und sie sorgen dafür, dass die Einnahmen aus den Ressourcen überwiegend ihnen selbst zufließen. In Venezuela, dem reichsten Erdölproduzenten in Lateinamerika, lebte vor dem Aufstieg von Hugo Chavez die Hälfte der Bevölkerung in Armut – und genau diese Art von Armut inmitten von Reichtum bringt politische Führungsfiguren wie ihn hervor.15

Rent-Seeking-Verhalten ist nicht nur in den rohstoffreichen Ländern des Nahen Ostens, Afrikas und Lateinamerikas weit verbreitet. Es hat sich mittlerweile auch in modernen Volkswirtschaften wie der US-amerikanischen eingenistet, und einige der Formen, die es hier annimmt, ähneln denen in den ölreichen Ländern: Es geht darum, sich Staatsvermögen (wie etwa Erdöl oder Erze) zu einem Preis anzueignen, der unter einem angemessenen Marktpreis liegt. Es ist nicht schwer, reich zu werden, wenn der Staat Ihnen für 500 Millionen ein Bergwerk verkauft, das eine Milliarde Dollar wert ist.

Eine andere Form des Rent-Seeking ist die Kehrseite davon: Produkte werden zu einem Preis, der über den Marktpreisen liegt, an staatliche Abnehmer verkauft (Beschaffung ohne Ausschreibung). Die Pharma-Unternehmen und die Rüstungskonzerne verstehen sich hervorragend auf diese Art des Rent-Seeking. Offene staatliche Subventionen (wie in der Landwirtschaft) oder versteckte Subventionen (Handelsrestriktionen, die den Wettbewerb einschränken, oder Subventionen, die im Steuersystem versteckt sind) sind ebenfalls Taktiken, mit denen man sich auf Kosten der Allgemeinheit Renteneinkommen verschaffen kann. Nicht jedes Rent-Seeking benutzt den Staat, um den einfachen Bürgern Geld aus der Tasche zu ziehen. Der private Sektor kann hier auch aus eigener Kraft Vorzügliches leisten, indem er beispielsweise der Allgemeinheit durch monopolistische Praktiken und Ausbeutung derer, die weniger gut informiert und schlechter ausgebildet sind, Renten entlockt; man denke nur an die arglistigen Kreditvergabepraktiken der Banken. CEOs können ihre weitgehend unbeschränkten Machtbefugnisse in dem von ihnen geleiteten Unternehmen dazu benutzen, für sich selbst einen höheren Anteil am Firmenertrag herauszuschlagen. Hier spielt allerdings auch der Staat eine Rolle, weil er nicht das tut, was er tun sollte: die Aktivitäten unterbinden, sie für rechtswidrig erklären oder die geltenden Gesetze anwenden. Mit konsequenter Durchsetzung von Wettbewerbsgesetzen lassen sich Monopolgewinne begrenzen; mit effektiven Gesetzen gegen betrügerische Kreditvergabepraktiken und Kreditkartenmissbräuche lässt sich die Ausbeutung durch Kreditinstitute einschränken; mit sachgerecht ausgestalteten Gesetzen zur Corporate Governance lässt sich das Ausmaß limitieren, in dem sich Führungskräfte Firmenerträge aneignen.

Wenn wir uns ansehen, wer an der Spitze der Vermögenspyramide steht, können wir ein Gefühl dafür bekommen, was für diesen Aspekt der Ungleichheit in Amerika typisch ist. Es gibt nur wenige Erfinder, denen wir eine bahnbrechende technologische Neuerung verdanken, und nur wenige Wissenschaftler, die unser Verständnis der Naturgesetze revolutioniert haben. Denken wir an Alan Turing, der mit seiner genialen Begabung die mathematischen Grundlagen des modernen Computers schuf. Oder an Einstein. Oder an die Erfinder des Lasers (wobei Charles Townes eine zentrale Rolle spielte)16 oder an John Bardeen, Walter Brattain und William Shockley, die Erfinder der Transistoren.17 Oder an Watson und Crick, die das Rätsel der DNA lösten, wovon die moderne Medizin so ungeheuer profitiert. Keiner von ihnen, die so bedeutende Beiträge zum Gemeinwohl leisteten, gehört zu denjenigen, die unser Wirtschaftssystem am reichsten belohnte.

Vielmehr sind viele derer, die an der Spitze der Vermögenspyramide stehen, auf die eine oder andere Weise geniale Geschäftsleute. Einige würden sicherlich behaupten, dass beispielsweise Steve Jobs oder die Erfinder von Suchmaschinen oder sozialen Medien auf ihre Weise Genies sind. Jobs war vor seinem Tod Nummer 110 auf der Forbes-Liste der reichsten Milliardäre der Welt, und Mark Zuckerberg war Nummer 52. Doch viele dieser »Genies« errichteten ihre Firmenimperien auf den Schultern von Giganten wie Tim Berners-Lee, dem Erfinder des World Wide Web, der nie auf der Forbes-Liste auftauchte. Berners-Lee hätte Milliardär werden können, entschied sich aber dagegen – er stellte seine Idee kostenlos zur Verfügung, was die Entwicklung des Internets erheblich beschleunigte.18

Sieht man sich die Erfolge derer an der Spitze der Vermögensverteilung genauer an, stellt man fest, dass mehr als nur ein kleiner Teil ihres Genies darin besteht, bessere Strategien zur Ausnutzung von Marktmacht und anderen Marktunvollkommenheiten zu ersinnen und häufig auch darin sicherzustellen, dass die Politik ihren Interessen dient und nicht denen der Allgemeinheit. Die Rolle von Finanziers, die einen erheblichen Teil des oberen einen beziehungsweise der 0,1 Prozent ausmachen, war bereits Thema. Während einige von ihnen es dadurch zu Reichtum brachten, dass sie echte ökonomische Werte schufen, haben andere ihr Vermögen zu keinem geringen Teil durch eine der zuvor beschriebenen zahllosen Varianten des Rent-Seeking erworben.19 Neben den Finanziers, die wir bereits diskutiert haben, finden sich an der Spitze auch die Monopolisten und deren Nachkommen, denen es auf die eine oder andere Weise gelungen ist, eine marktbeherrschende Stellung zu erlangen und zu bewahren. Auf die Eisenbahnbarone des neunzehnten Jahrhunderts folgte John D. Rockefeller mit Standard Oil. Das Ende des zwanzigsten Jahrhunderts sah Bill Gates und die beherrschende Stellung von Microsoft auf dem Markt für PC-Software. Ein weiteres Beispiel ist Carlos Slim, ein mexikanischer Geschäftsmann, der 2011 die Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt anführte.20 Dank seiner beherrschenden Stellung in der mexikanischen Telekommunikationsbranche kann Slim Preise verlangen, die um ein Mehrfaches über denen liegen, die auf stärker wettbewerbsorientierten Märkten erzielt werden. Der Durchbruch gelang ihm, als er sich bei der Privatisierung der staatlichen Telekommunikationsgesellschaft einen großen Anteil an dem Unternehmen sichern konnte21 – eine Strategie, die vielen der größten Vermögen der Welt zugrunde liegt. Wie wir gesehen haben, ist es leicht, reich zu werden, wenn man staatliche Vermögenswerte zum Schnäppchenpreis ergattern kann. Viele der russischen Oligarchen zum Beispiel schufen den Grundstock ihres Reichtums dadurch, dass sie staatseigene Betriebe unter dem Marktpreis kauften und sich dann durch ihre Monopolstellung anhaltend hohe Gewinne sicherten. (In den USA geht die Regierung bei der Verschleuderung von Staatsvermögen subtiler vor. Wir stellen etwa Regeln für den Verkauf von Staatseigentum auf, bei dem es sich in Wirklichkeit um eine teilweise Schenkung handelt; nur geschieht dies nicht so durchsichtig, wie es in Russland der Fall war.)22

Im vorherigen Kapitel wurde eine weitere wichtige Gruppe von Superreichen genannt: Vorstandschefs von Konzernen (CEOs) wie etwa Stephen Hemsley von der UnitedHealth Group, der 2010 rund 102 Millionen Dollar verdiente, oder Edward Mueller von Qwest Communications (seit einer Fusion im Jahr 2011 CenturyLink), der 65,8 Millionen Dollar kassierte.23 CEOs haben sich erfolgreich einen immer größeren Batzen vom Gewinn ihrer Unternehmen angeeignet.24 Dass sie in den letzten Jahrzehnten solche Reichtümer anhäufen konnten, geht nicht auf eine plötzliche, massive Steigerung ihrer Produktivität zurück. Vielmehr gelang es diesen CEOs, die eigenen finanziellen Interessen gegenüber dem Unternehmen, dem sie eigentlich dienen sollten, besser durchzusetzen, dabei weniger Skrupel zu haben und sich auf eine höhere Toleranz der Öffentlichkeit gegenüber diesem Verhalten verlassen zu können. Ich werde noch darauf zurückkommen.

Eine letzte große Gruppe von Rent-Seekern besteht aus den Spitzenanwälten, einschließlich denjenigen, die dadurch reich wurden, dass sie anderen halfen, bei ihren Rent-Seeking-Aktivitäten das Gesetz zu umgehen, (meist) ohne dafür im Gefängnis zu landen. Sie wirken an der Ausarbeitung der komplexen Steuergesetze mit, in die sie Schlupflöcher für ihre Klientel einbauen, und handeln anschließend die komplexen Deals zur Nutzung dieser Schlupflöcher aus. Sie halfen mit, den komplizierten und undurchschaubaren Markt für Finanzderivate zu entwickeln. Sie beteiligen sich an der Formulierung der vertraglichen Vereinbarungen, die, scheinbar gesetzeskonform, Monopolmacht erzeugen. Und für ihre tüchtige Beihilfe dafür, dass sie die Märkte in Instrumente zur Selbstbereicherung der Begüterten verwandelten, werden sie reichlich belohnt.25

Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht
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