Ungleichheit in Amerika: eine Momentaufnahme
Die Situation in den USA lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die Reichen werden reicher, die Reichsten der Reichen werden noch reicher,25 die Armen werden ärmer, und ihre Zahl wächst, die Mittelschicht wird ausgehöhlt. Die Einkommen der Mittelschicht stagnieren oder sinken, und der Abstand zu den wirklich Reichen wächst.
Disparitäten im Haushaltseinkommen hängen mit Disparitäten sowohl bei den Löhnen als auch bei den Vermögen und Kapitaleinkünften zusammen. In beiden Hinsichten nimmt die Ungleichheit zu.26 So wie die Ungleichheit insgesamt zunimmt, so haben sich auch die Disparitäten bei Löhnen und Gehältern verschärft. Während beispielsweise die Löhne der Geringverdiener (in den unteren 90 Prozent) im Verlauf der letzten dreißig Jahre in den USA nur um etwa 15 Prozent gestiegen sind, haben sich die Einkommen im oberen einen Prozent um fast 150 Prozent und in den obersten 0,1 Prozent um über 300 Prozent vervielfacht.27
Die Veränderungen bei den Vermögenssituationen sind noch dramatischer. In den 25 Jahren vor Ausbruch der Krise wuchs zwar das Vermögen der gesamten Bevölkerung, aber das der Reichen wuchs schneller. Da das Vermögen der Haushalte mit geringem und mittlerem Einkommen zu einem Großteil auf dem Marktwert ihrer Immobilien beruhte, handelte es sich letztlich um »Scheinvermögen«, das auf den spekulativ aufgeblähten Immobilienpreisen basierte. Und obwohl in der Krise alle Verluste erlitten, erholten sich die Reichen rasch wieder, während dies bei den Haushalten mit geringem oder mittlerem Einkommen nicht der Fall war. Selbst als die Aktienkurse in der Großen Rezession einbrachen und die Reichen einen Teil ihres Vermögens verloren, belief sich das Vermögen des reichsten einen Prozents der Haushalte noch immer auf das 225-Fache des Vermögens des Durchschnittsamerikaners – im Jahr 1962 oder 1983 betrug das Verhältnis knapp die Hälfte.28
In Anbetracht des Vermögensgefälles ist es nicht weiter verwunderlich, dass diejenigen an der Spitze auch den Löwenanteil der Kapitaleinkünfte kassierten – vor der Krise, im Jahr 2007, flossen etwa 57 Prozent der Kapitaleinkünfte dem oberen einen Prozent zu.29 Und es erstaunt ebenso wenig, dass das obere eine Prozent zwischen 1979 und 2007 einen noch höheren Anteil am Zuwachs der Kapitaleinkünfte – ungefähr sieben Achtel – erhielt, während bei den unteren 95 Prozent weniger als drei Prozent des Zuwachses ankamen.30
Diese allgemeinen Zahlen sind zwar besorgniserregend, sie machen die gegenwärtigen Disparitäten aber vielleicht nicht hinlänglich deutlich. Ein besonders markantes Fallbeispiel für den Zustand der Ungleichheit in Amerika liefert die Familie Walton: Die sechs Erben des Wal-Mart-Imperiums verfügen über ein Vermögen von 69,7 Milliarden Dollar – das entspricht dem Gesamtvermögen der unteren 30 Prozent der US-AMERIKANISCHEN Gesellschaft. Die Zahlen sind nur auf den ersten Blick überraschend, weil die Einkommensschwachen schlicht kaum Vermögen besitzen.31