Warum der Staat die Wirtschaft kräftig ankurbeln kann
Die Behauptung, der Staat könne durch seine Ausgabenpolitik die Wirtschaft ankurbeln, basiert auf einer zwingenden Logik. Wenn die Regierung die Ausgaben erhöht, wächst das BIP um ein Mehrfaches dieses Betrages. Der Zusammenhang zwischen dem Zuwachs des BIP und der Erhöhung der Staatsausgaben wird Multiplikator genannt. Die Konservativen behaupten, wie nicht anders zu erwarten, der Multiplikator sei klein – liege vielleicht sogar nahe null. Bei Vollbeschäftigung bewirken höhere Staatsausgaben selbstverständlich keine BIP-Zunahme. Sie müssen andere Ausgaben verdrängen. Wenn die US-Notenbank die Zinsen heraufsetzt oder die Kredite verknappt, um sicherzustellen, dass die erhöhten Staatsausgaben nicht die Inflation anheizen, werden Investitionen verdrängt. Aber diese Erfahrungen sind dann irrelevant für die Beurteilung der Folgen staatlicher Ausgaben, wenn die Arbeitslosigkeit hoch ist (und das wird sie über die kommenden Jahre wohl bleiben) und wenn sich die Notenbank selbst dazu verpflichtet hat, nicht mit Zinserhöhungen darauf zu reagieren. Unter diesen Umständen – den Bedingungen der Großen Rezession – sind Multiplikatoren sehr wahrscheinlich groß, weit über eins.49
Die Staatsausgaben können die Wirtschaft sogar noch stärker stimulieren, wenn sie in hochproduktive Investitionen fließen, darunter solche, die den wirtschaftlichen Strukturwandel fördern. Jenseits der hohen direkten Renditen dieser Investitionen gibt es weitere Nutzeneffekte: Die Erträge privater Investitionen steigen, so dass verstärkt von privater Seite investiert wird; das Defizit wird mittelfristig reduziert, und dies sollte nicht nur Vertrauen einflößen, sondern die Verbraucher, da sie erkennen, dass ihre zukünftige Steuerbelastung vermutlich geringer ausfallen wird, dazu veranlassen, auch heute mehr zu konsumieren.50 Selbst der private Konsum zieht an.
Für Strukturreformen ausgegebene staatliche Gelder – die mit dazu beitragen, Ressourcen aus älteren, weniger wettbewerbsfähigen Sektoren in neue Sektoren umzuleiten – beleben die Wirtschaft, und die höheren Einkommen verschaffen Privatpersonen und Unternehmen die Mittel, um sich an den ökonomischen Strukturwandel anzupassen.
In vielen europäischen Ländern, die Sparprogramme umsetzen, bedarf es gleichzeitig zügiger Strukturreformen. Die Strukturreformen, auf die sie sich konzentrieren, sehen allerdings vielfach keine staatliche Unterstützung für die sektorale Neuausrichtung der Volkswirtschaft vor. Vielmehr greift man auf eine Mischung aus kontraproduktiven Maßnahmen (Herabsetzung des Mindestlohns) und Maßnahmen, die politische Renten – Einkommen im Sinne des Rent-Seeking – beschneiden sollen (wie eine effektivere Durchsetzung des Wettbewerbsrechts und den Abbau von Konzessionsauflagen), sowie auf Maßnahmen zurück, deren Wirkung nicht eindeutig ist: übereilte Privatisierungen, die in vielen Ländern sogar noch mehr Möglichkeiten zum Abschöpfen politischer Renten schufen und die Effizienz beeinträchtigten.
Diese Reformen werden mit ambitionierten Botschaften – »damit wir wettbewerbsfähiger werden« – garniert. Selbst wenn diese Reformen in historisch beispiellosem Tempo umgesetzt würden, dauerte es Jahre, ehe ihre Früchte voll zum Tragen kämen. Diese Reformen kommen jedoch bestenfalls (wenn sie gut durchdacht sind, was bei vielen nicht der Fall ist) der Angebotsseite der Wirtschaft zugute; die Schwächen im heutigen Wirtschaftsgeschehen betreffen jedoch die Nachfrageseite, und sinkende Arbeitnehmereinkommen, entweder infolge von Entlassungen oder von Lohnkürzungen, verringern lediglich die Gesamtnachfrage und das BIP und erschweren denjenigen, die unmittelbar von dem Strukturwandel betroffen sind, die erfolgreiche Anpassung. Wenn jetzt nichts zur Ankurbelung von Nachfrage und Wachstum getan wird (und die meisten der europäischen Programme scheinen diesbezüglich wenig oder gar nichts anzukurbeln), werden effizienzverbessernde Strukturreformen nur bewirken, dass die Wirtschaft weniger Arbeitskräfte braucht, ganz gleich, wie viel Output sie produziert. So wünschenswert die Strukturreformen auf lange Sicht auch sind, drohen sie doch kurzfristig die Arbeitslosigkeit zu erhöhen und den Output zu verringern.