Ökonomische Unsicherheit
Die wachsende Unsicherheit, die so viele Amerikaner empfinden, ist leicht nachvollziehbar. Selbst diejenigen, die Arbeit haben, wissen, dass ihre Arbeitsplätze bedroht sind und dass sich ihr Leben angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und der geringen sozialen Absicherung plötzlich zum Schlechteren wenden könnte. Der Verlust des Arbeitsplatzes zieht den Verlust der Krankenversicherung und vielleicht auch den Verlust des Eigenheims nach sich. Personen mit scheinbar sicheren Arbeitsplätzen sind mit der Aussicht auf unsichere Alterseinkommen konfrontiert, da die Vereinigten Staaten in den letzten Jahren ihr System der Altersvorsorge umgestellt haben. Früher waren sogenannte leistungsorientierte Pensionspläne die Regel – dabei wussten die Arbeitnehmer genau, wie hoch ihre Rente war, wenn sie in Ruhestand gingen, wobei die Unternehmen das Risiko von Kursschwankungen am Aktienmarkt trugen. Heute hingegen bekommen die meisten Arbeitnehmer nur noch beitragsorientierte Pläne, bei denen der Einzelne selber dafür verantwortlich ist, sein Rentenkonto zu verwalten – und bei denen er das Risiko von Kursschwankungen am Aktienmarkt ebenso wie das Inflationsrisiko trägt. Da liegt die Gefahr auf der Hand: Wenn der Betreffende auf Finanzanalysten gehört und sein Geld am Aktienmarkt angelegt hätte, hätte er 2008 herbe Verluste einstecken müssen.
So bedeutete die Große Rezession für viele Amerikaner ein dreifaches Pech: Ihre Arbeitsplätze, ihre Altersvorsorge und ihr Immobilienbesitz waren gleichermaßen in Gefahr. Die Preisblase am Immobilienmarkt hatte den Menschen eine vorübergehende Atempause vor den Folgen sinkender Einkommen verschafft. Sie gaben mehr aus, als sie einnahmen, da sie unbedingt ihren Lebensstandard halten wollten. Tatsächlich gaben die unteren 80 Prozent (der Einkommensverteilung) vor dem Beginn der Großen Rezession, Mitte der nuller Jahre, etwa 110 Prozent ihres Einkommens aus.49 Jetzt, nachdem die Blase geplatzt ist, müssen diese Amerikaner nicht nur mit ihren Mitteln auskommen, viele müssen sogar mit noch weniger auskommen, da sie einen Berg Schulden abtragen müssen. Bei über einem Fünftel der Hypothekenschuldner übersteigen die Schulden den aktuellen Marktwert der Immobilie.50 Das Eigenheim ist nicht länger das Sparschwein, das als Altersvorsorge oder zur Finanzierung des Studiums eines Kindes dienen soll, sondern eine finanzielle Bürde. Viele Menschen laufen Gefahr, ihr Haus zu verlieren – und viele haben es bereits verloren. Die Millionen von Familien, die seit dem Platzen der Immobilienblase ihr Eigenheim verloren haben, haben nicht nur das Dach über dem Kopf, sondern auch einen Großteil ihrer Lebensersparnisse eingebüßt.51 Durch die krisenbedingten Verluste auf den Altersvorsorgekonten und die Wertminderung von Immobilien in Höhe von insgesamt 6,5 Billionen Dollar52 wurde schon der Durchschnittsverdiener stark getroffen; ärmeren Amerikanern, die gerade begannen, einen flüchtigen Blick auf den amerikanischen Traum zu erhaschen – das glaubten sie jedenfalls, als sie ein Haus kauften und sahen, wie der Wert ihrer Immobilie in der Spekulationsblase stetig stieg –, erging es noch viel schlechter. Zwischen 2005 und 2009 sank das Vermögen des typischen afroamerikanischen Haushalts um 53 Prozent, was gerade mal fünf Prozent des Durchschnittsvermögens eines weißen US-Haushaltes entsprach, während der durchschnittliche Latino-Haushalt 66 Prozent seines Vermögens einbüßte. Und selbst das Reinvermögen des typischen weißen amerikanischen Haushalts war deutlich zurückgegangen, auf 113 149 Dollar im Jahr 2009 – im Vergleich zum Jahr 2005 ein Verlust von 16 Prozent.53