Was hinter der Defizitagenda steckt: Bewahrung und Ausbau der Ungleichheit
Es mag sonderbar anmuten, dass in einem Land, in dem der Spitzensteuersatz schon jetzt niedriger ist als in den meisten anderen Industrieländern, zum Zwecke des Defizitabbaus eine weitere Senkung des Spitzensteuersatzes und der Körperschaftsteuer gefordert wird, aber genau das hat die Bowles-Simpson Deficit Reduction Commission getan.24 Sie schlug vor, den Spitzen-Grenzsteuersatz auf 23 bis 29 Prozent zu begrenzen, und zwar als Teil einer umfassenderen Agenda zur Verschlankung des Staats, wobei für die gesamten Steuereinnahmen eine Obergrenze von 21 Prozent des BIP gelten sollte. Tatsächlich werden etwa 75 Prozent des Defizitabbaus durch Kürzungen von Staatsausgaben erreicht.
Die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik Reagans, die von der Annahme ausging, dass Steuersenkungen der Wirtschaft einen solchen Wachstumsschub verleihen würden, dass die Steuereinnahmen sogar zunähmen, wurde (wie in Kapitel 3 gezeigt) durch das tatsächliche Geschehen widerlegt. Heute liegen die Einkommensteuersätze viel niedriger als 1980, was dafür spricht, dass weitere Steuersenkungen die Steuereinnahmen noch stärker schrumpfen lassen würden.
Das Argument, die Körperschaftsteuer solle gesenkt werden (auf 23 bis 29 Prozent von gegenwärtig 35 Prozent),25 war noch weniger überzeugend, auch wenn die Vorschläge der Bowles-Simpson-Kommission zur Schließung der unzähligen Schlupflöcher, wenn sie tatsächlich umgesetzt würden, zur Folge hätten, dass viele Unternehmen ungeachtet der Herabsetzung des Steuersatzes mehr Steuern zahlen würden. In Kapitel 3 wies ich darauf hin, dass der effektive Steuersatz – der Prozentsatz ihrer Einkünfte, den Unternehmen tatsächlich abführen müssen – weit unter 35 Prozent liegt und dass einige der amerikanischen Vorzeigekonzerne wie General Electric überhaupt keine Steuern zahlen. Aber während es für die Schließung der Schlupflöcher zwingende Argumente gibt, auch wenn man sich bloß auf Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen konzentriert, spricht kaum etwas für eine pauschale Senkung der Körperschaftsteuer. Schließlich senkt die Steuer aufgrund der Absetzbarkeit von Zinsen die Kosten für die Fremdkapitalbeschaffung und die Rendite im gleichen Verhältnis. Die Steuer wirkt sich nicht negativ auf kreditfinanzierte Investitionen aus, und wenn man die günstigen Abschreibungssätze für Sachkapital berücksichtigt (Unternehmen können von ihren Einnahmen einen Betrag abziehen, der der Tatsache Rechnung trägt, dass sich ihre Maschinen gebrauchsbedingt abnutzen), fördert das Steuergesetz sogar Investitionen.26 Wenn die Kommission wirklich der Auswirkungen der Steuer auf die unternehmerische Investitionstätigkeit fürchtete, dann hätte es zielgenauere Möglichkeiten zur Feinjustierung des Steuergesetzes gegeben als eine pauschale Kürzung: Sie hätte vorschlagen können, die Steuern für jene Unternehmen zu senken, die Arbeitsplätze in den USA schaffen und dort Investitionen tätigen, während alle anderen Firmen einer höheren Besteuerung unterworfen würden. Mit einer solchen Maßnahme ließen sich die Einnahmen erhöhen und Unternehmen Anreize für mehr Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Vereinigten Staaten bieten.
All diese Kommissionen, die Vorschläge zum Defizitabbau erarbeiteten, versuchten, Verzerrungseffekte im Steuergesetz zu beheben – Klauseln, die vielfach gezielt durch Vertreter von Sonderinteressen dort untergebracht worden waren und ganz bestimmten Wirtschaftssektoren zugutekommen sollten. Doch keine dieser Gruppen empfahl einen Frontalangriff auf die »Konzernwohlfahrt« und versteckte Subventionen (einschließlich derer an den Finanzsektor), wie ich ihn in diesem Buch befürworte, nicht zuletzt, weil es den Konservativen gelungen ist, viele Amerikaner davon zu überzeugen, dass ein Angriff auf die »Konzernwohlfahrt« ein Fall von »Klassenkampf« wäre.