Die Quadratur des Kreises: Wie sich trotz Haushaltsdefiziten und unzureichender Nachfrage die Konjunktur beleben lässt

Hätten wir Vollbeschäftigung, würden wir uns auf die »angebotsseitigen« Effekte von Steuer- und Ausgabenreformen konzentrieren, etwa darauf, durch den Abbau der »Konzernwohlfahrt« die dadurch entstandenen Verzerrungen zu berichtigen und die Produktivität und das BIP zu steigern, bei gleichzeitiger Erhöhung der Einnahmen.

Heute aber setzt sich die politische Rechte für eine seltsame Kombination aus angebots- und nachfrageseitigen Maßnahmen ein: Der Defizitabbau, so wird behauptet, werde irgendwie das Vertrauen in das Land und seine Wirtschaft erneuern und sei daher positiv; Steuersenkungen wiederum würden die Wirtschaft effizienter machen und das Geld in die Hände derjenigen legen, die es sinnvoll ausgeben können. Wenn Defizite abgebaut werden sollen, während gleichzeitig Steuern gesenkt werden, bedeutet dies natürlich, dass die Ausgaben zusammengestrichen werden müssen. Und das ist die eigentliche Agenda: Verschlankung des Staates. Da die meisten auf der Rechten die Militärausgaben unangetastet lassen wollen, müssten die notwendigen Kürzungen bei Bildung, Forschung, Infrastruktur – all den Nicht-Verteidigungsausgaben – erfolgen, mit dramatischen Konsequenzen.

Aber diese Agenda würde nicht nur das zukünftige Wachstum des Landes gefährden; sie würde auch die gegenwärtige konjunkturelle Talfahrt beschleunigen. In diesem Abschnitt erläutere ich, wie die Regierung die Wirtschaft ankurbeln kann, während sie sich zugleich auf den Schuldenabbau konzentriert, und warum die Agenda der Rechten höchstwahrscheinlich verheerende Folgen haben wird.

Die Regierung könnte heute Kredite aufnehmen, um in die Zukunft des Landes zu investieren: indem sie zum Beispiel dafür sorgt, dass Amerikaner aus der Unter- und Mittelschicht eine gute Ausbildung erhalten, indem sie die Entwicklung von Technologien fördert, die die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften steigern, und sich gleichzeitig um den Umweltschutz kümmert. Diese hochrentierlichen Investitionen würden die Bilanz des Landes verbessern (die gleichzeitig Aktiva und Passiva ausweist) und einen Ertrag abwerfen, der mehr als ausreichen würde, um die sehr niedrigen Zinsen zu zahlen, zu denen die USA gegenwärtig am Kapitalmarkt Kredite aufnehmen können. Alle erfolgreichen Unternehmen finanzieren ihre Expansion mit Krediten. Und wenn sich ihnen hochrentierliche Investitionsmöglichkeiten bieten und ihre Kapitalkosten zugleich niedrig sind – wie es heute bei den Vereinigten Staaten der Fall ist –, dann nehmen sie reichlich Fremdkapital auf.

Die Vereinigten Staaten sind für diese Strategie in einer besonders guten Ausgangssituation, denn die (sozialen) Renditen öffentlicher Investitionen sind hoch – weil in den vergangenen 25 Jahren zu wenig investiert wurde –, und langfristige Kredite billig. Leider hat insbesondere bei der Rechten (aber auch in der Mitte) der Defizitfetischismus an Boden gewonnen. Die Ratingagenturen – denen man trotz ihrer unglaublich schlechten Leistung in den letzten Jahrzehnten noch immer Vertrauen entgegenbringt – haben sich dem Kampf angeschlossen und US-Anleihen herabgestuft. Der Gütetest für Anleihen ist jedoch die Risikoprämie, die Investoren verlangen. Gegenwärtig kann die US-Finanzverwaltung fast zinslose (und, wenn man die Inflation berücksichtigt, sogar negativ verzinste) US-Schatzwechsel problemlos am Markt unterbringen. Auch wenn sich der Defizitfetischismus nicht mit ökonomischen Gründen rechtfertigen lässt, findet er doch breite Resonanz. Die Strategie, in die Zukunft des Landes zu investieren, würde mittel- bis langfristig die amerikanische Staatsverschuldung senken; kurzfristig aber müsste die Regierung mehr Schulden machen, und diejenigen, die unter dem Einfluss des Defizitfetischismus stehen, behaupten, dies wäre unverantwortlich.

Wenn man unbedingt will, dass das Defizit jetzt nicht wächst, bietet sich eine weitere Strategie der Konjunkturbelebung an, die auf einem seit Langem bekannten Grundsatz, der sogenannten Multiplikatorwirkung eines ausgeglichenen öffentlichen Haushalts, basiert. Die Regierung erhöht gleichzeitig Steuern und Ausgaben – so dass das laufende Defizit unverändert bliebe – und stimuliert so die Wirtschaft. Die Steuern dämpfen zwar die Konjunktur, aber die Ausgaben wirken konjunkturanregend. Die Analyse zeigt eindeutig, dass der belebende Effekt den kontraktiven überwiegt. Wenn die Steuer- und Ausgabenerhöhungen sorgfältig aufeinander abgestimmt werden, kann der Anstieg des BIP zwei bis drei Mal so groß ausfallen wie die Ausgabenerhöhung.23 Und während das Defizit – annahmegemäß – kurzfristig weder ansteigt noch sinkt, geht die Staatsverschuldung wegen der erhöhten Steuereinnahmen infolge des ausgelösten Wachstumsschubs mittelfristig zurück.

Es gibt also eine Möglichkeit, die Quadratur des Kreises – Konjunkturbelebung im Rahmen der bestehenden Verschuldungs- und Defizitgrenzen  – zu bewältigen, selbst wenn die Regierung diese Obergrenzen nicht weiter erhöhen kann. Und hier bekommen die im vorherigen Abschnitt diskutierten Reformen dann besondere Relevanz.

Wir können uns das Ausmaß, in dem verschiedene Steuern und Ausgaben die Wirtschaft ankurbeln, gezielt zunutze machen, indem wir mehr für Programme mit großen Multiplikatoren (bei denen jeder ausgegebene Dollar einen um ein Mehrfaches dieses Betrages höheren Zuwachs des BIP erzeugt) ausgeben und weniger für Programme mit kleinen Multiplikatoren; gleichzeitig erhöhen wir die Steuern auf Quellen mit niedrigen Multiplikatoren, während wir die Steuern auf Quellen mit hohen Multiplikatoren senken. Gelder, die für ausländische Auftragnehmer in Afghanistan ausgegeben werden, stimulieren die amerikanische Wirtschaft nicht; Finanzmittel, mit denen das Arbeitslosengeld für die Langzeitarbeitslosen gezahlt wird, tun dies dagegen sehr wohl, und zwar weil diese Menschen derart knapp bei Kasse sind, dass sie tendenziell jeden Dollar, den sie erhalten, auch ausgeben (müssen). Eine stärkere Besteuerung der Superreichen reduziert deren Ausgaben um höchstens etwa 80 Cents pro Dollar; eine geringere Besteuerung der Geringverdiener erhöht deren Ausgaben um fast 100 Cents je Dollar. Daher entschärft eine stärkere Steuerprogression nicht nur die Ungleichheit, sondern stimuliert auch die Wirtschaft. Trickle-up kann funktionieren, selbst wenn Trickle-down versagt.

Auch die Reichen können von dem Anstieg des BIP profitieren, in einigen Fällen sogar in einem solchen Umfang, dass die erhöhte steuerliche Belastung dadurch ausgeglichen würde. Weil staatliche Ausgaben, die zu höheren politischen Renten führen (ob es sich um überhöhte Preise bei der öffentlichen Auftragsvergabe, Subventionen für reiche Landwirte oder für Konzerne handelt), in überproportionalem Maße den oberen Einkommensgruppen zugutekommen, kommen Kürzungen derselben – und die Bereitstellung der freigewordenen Mittel für zusätzliche Investitionen und eine verbesserte soziale Absicherung – Gerechtigkeit, Effizienz und Wachstum zugute; und in der gegenwärtigen Lage wird auch die Gesamtwirtschaft angekurbelt.

Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht
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