Ein Arbeitsmarkt ohne Sicherheitsnetz
Aber die Not derjenigen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben und keine neue Stelle fanden, war sogar noch größer. Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten ging zwischen November 2007 und November 2011 um 8,7 Millionen zurück,40 dabei hätte in diesem Zeitraum die Erwerbsbevölkerung normalerweise um fast 7 Millionen Personen zugenommen. Das Arbeitsplatzdefizit ist also in Wirklichkeit um über 15 Millionen Stellen gestiegen. Millionen derer, die nach langwieriger Suche keine Stelle gefunden hatten, gaben die Stellensuche dauerhaft auf; junge Menschen beschlossen, weiterhin die Schul- oder Hochschulbank zu drücken, da die Beschäftigungsaussichten anscheinend selbst für College-Absolventen düster sind. Die »fehlenden« Erwerbsfähigen (die nicht länger nach Arbeit suchten) bedeuteten, dass die amtliche Arbeitslosenstatistik (die, Anfang 2012, eine Arbeitslosenquote von »nur« 8,3 Prozent auswies) ein allzu rosiges Bild der Lage am Arbeitsmarkt zeichnete.
Unsere Arbeitslosenversicherung, eine der knauserigsten aller Industrieländer, war der Aufgabe, Arbeitslose angemessen finanziell zu unterstützen, einfach nicht gewachsen.41 Normalerweise ist die Bezugsdauer für Arbeitslosengeld auf sechs Monate begrenzt. Vor der Krise bedeutete ein dynamischer Arbeitsmarkt bei Vollbeschäftigung, dass, wer Arbeit suchte, innerhalb kurzer Zeit zumeist auch eine Stelle fand, selbst wenn sie nicht seinen Erwartungen oder Qualifikationen entsprach. In der Großen Rezession galt dies nicht mehr. Fast die Hälfte der Arbeitslosen waren Langzeitarbeitslose. Die Bezugsfrist für Arbeitslosengeld wurde zwar verlängert (in der Regel nach einer erbitterten Debatte im Kongress),42 aber auch nach Ablauf der verlängerten Anspruchsfrist werden noch immer Millionen Menschen arbeitslos sein.43 Als die Rezession und der schwache Arbeitsmarkt auch 2010 andauerten, tauchte ein neues Segment unserer Gesellschaft auf, die »99er« – diejenigen, die länger als 99 Wochen arbeitslos waren –, und diese gingen selbst in den großzügigsten Bundesstaaten und ungeachtet finanzieller Unterstützungsprogramme des Bundes leer aus. Sie suchten nach Arbeit, aber es gab einfach nicht genügend Arbeitsplätze. Auf jede Stelle kamen vier Arbeitssuchende.44 Und in Anbetracht der Tatsache, dass viel politisches Kapital aufgewendet werden musste, um die Bezugsfrist für Arbeitslosengeld auf 52, 72 oder 99 Wochen zu verlängern, setzen sich nur wenige Politiker überhaupt für die 99er ein.45
Eine Umfrage der New York Times zur Arbeitslosenversicherung brachte im Herbst 2011 das ganze Ausmaß der Unzulänglichkeiten ans Licht.46 Nur 38 Prozent der Arbeitslosen bezogen damals Arbeitslosengeld, und etwa 44 Prozent hatten zu keinem Zeitpunkt Arbeitslosengeld erhalten. Von denjenigen, die Unterstützung bekamen, glaubten 70 Prozent, es sei sehr oder recht wahrscheinlich, dass die Leistungen eingestellt würden, ehe sie wieder Arbeit fänden. Drei Viertel derer, die Arbeitslosengeld bezogen, gaben an, dieses bleibe deutlich hinter ihrem früheren Einkommen zurück. Da ist es nicht weiter erstaunlich, dass über die Hälfte der Arbeitslosen infolge der Arbeitslosigkeit mit emotionalen oder gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte, sich aber keine Behandlung leisten konnte, da mehr als die Hälfte der Arbeitslosen nicht krankenversichert war. Viele der Arbeitslosen mittleren Alters hielten es für aussichtslos, jemals wieder eine Stelle zu finden. Für Arbeitslose über 45 Jahre näherte sich die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit bereits einem Jahr.47 Der einzige positive Aspekt bei der Umfrage war die optimistische Antwort, dass es, insgesamt, 70 Prozent für sehr oder einigermaßen wahrscheinlich hielten, dass sie in den nächsten zwölf Monaten wieder Arbeit finden würden. Immerhin: Der Optimismus der Amerikaner scheint ungebrochen zu sein.
Vor der Rezession ging es den Vereinigten Staaten wirtschaftlich anscheinend in mancher Hinsicht besser als anderen Ländern. Auch wenn die Löhne und Gehälter in der Mittelschicht nicht gestiegen sein mochten, so konnte doch zumindest jeder, der Arbeit suchte, welche finden. Dies war der viel gerühmte Vorteil »flexibler Arbeitsmärkte«. Aber die Krise zeigte, dass sich sogar dieser Vorteil zu verflüchtigen schien, als sich die US-Arbeitsmärkte mit ihrer nicht nur hohen, sondern wachsenden Langzeitarbeitslosigkeit immer stärker ihren europäischen Pendants anglichen. Die Jungen sind frustriert; ich vermute allerdings, dass sie noch frustrierter sein werden, wenn sie erfahren, was der gegenwärtige Trend bedeutet: Wer längere Zeit arbeitslos ist, hat während seines gesamten Erwerbslebens schlechtere Beschäftigungschancen als ähnlich Qualifizierte, die am Arbeitsmarkt mehr Glück hatten. Selbst wenn er oder sie Arbeit bekommt, verdienen sie weniger als Personen mit ähnlichen Qualifikationen. Tatsächlich spiegelt sich das Pech, in einem Jahr hoher Arbeitslosigkeit in die Erwerbsbevölkerung einzutreten, im lebenslangen Arbeitseinkommen dieser Person wider.48